Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde und der Synagoge von Gudensberg

Redebeitrag zur Einweihung der restaurierten ehemaligen Synagoge am 07. Nov. 1995 von Hans-Peter Klein, Gudensberg

Das Synagogengebäude der ehemaligen jüdischen Gemeinde von Gudensberg wird heute einer neuen Bestimmung übergeben.

Das Haus war über 90 Jahre Synagoge der jüdischen Gemeinde.

Die Geschichte umfasst jedoch inzwischen mehr als 150 Jahre.

Daran und an die jüdische Gemeinde, an die Mitbürgerinnen und Mitbürger will ich erinnern.

Anfänge der jüdischen Gemeinde in Gudensberg liegen in der Mitte des 17. Jh. 1646 leben zwei Juden in Maden, 1664 auch in Gudensberg. Sie führen nur Vornamen.

Sie kamen wahrscheinlich aus dem Orient und unterlagen strengen Reglementierungen des Landgrafen.

In Judenordnungen waren Aufenthaltsrecht, Berufsausübung, Erwerb von Grund und Boden und die Religionsausübung geregelt, im 16. Jh. stark eingeschränkt. Aus dieser Zeit stammt der Begriff des Schutzjuden. Das Niederlassungsrecht für Juden war an die Verleihung eines Schutzbriefes gebunden. Die Juden mußten dafür Schutzgeld an den Landesherrn zahlen. Es betrug pro Familienoberhaupt 15 Gulden 10 Albus.

Ausgangspunkt all dieser Bestimmungen war die Festlegung, daß die Juden Fremde sind. Bestimmungen in Kurhessen im 17./18.Jh. zeigen die Tendenz, die Juden von Fremden zu Untertanen zu machen. Ein Ausweisungsrecht des Staates, wie anderen Fremden gegenüber, wird seit dem 18. Jh. nicht mehr erwähnt.

Weitere Veränderungen sind die Anwendungen des Landesrechts für Juden sowie eine Anerkennung der Kirchenverhältnisse und der Religionsausübung der Juden. So gibt es seit dem 17 Jh. einen Landrabbiner in Hessen und regelmäßige Judenlandtage. Solche Judenlandtage in Hessen-Kassel fanden in den Jahren 1788 - 1807 fünfmal in Gudensberg statt.

Dies waren mehrwöchige Zusammenkünfte bzw. Versammlungen, zu denen alle jüdischen Steuerzahler erscheinen mußten, und auf denen die Angelegenheiten der jüdischen Gemeinden beraten und beschlossen wurden.

In dieser Zeit wuchs die jüdische Gemeinde in Gudensberg stetig.

1734 sechs Familien
1744 acht Familien mit Namen Mansbach, Hertz, Feibes
1811 25 selbständige Geschäftsleute


Die Familiennamen wurden teilweise abgeleitet oder verändert, um Verwechslungen zu vermeiden.

aus Mansbach wurden die Namen "Demant, Engelbert, Isenberg, Erich, Heilbrun"',
aus Levi "Lilienfeld und Löwenstein",
aus Plot "Goldschmidt und Grünstein",
aus Feibes "Dannenberg", die Familie Adler gab sich zum Teil den Beinamen Katz.

Berufe der Juden um 1811 waren: Kauf- und Handelsleute, Makler, Viehhändler.


Ab der zweiten Hälfte des 19.Jh. übten jüdische Bürger auch zunehmend Handwerksberufe aus.

In seinen Erinnerungen "Bilder aus einer kleinen Stadt" schreibt Michael Elias 1923 dazu:

Auch zwei Handwerker gab es unter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, abgesehen von drei Metzgern. Der eine, ein alteingesessener und sehr angesehener Mann, war Buchbinder, der andere, ein zu meiner Zeit dort zufällig hängen gebliebener Russe, war Friseur. Er kam als Handwerksbursche nach Gudensberg, bliebt dort, eröffnete eine Barbierstube, bekam, da er gesellige Talente hatte, gut Anekdoten zu erzählen wusste, und da der einzige Brbier des Städtchens sich bald nachher im Bürgelbrunnen ertränkte, bald zu tun, verheiratete sich mit der Tochter eines einheimischen Metzgers und wurde mit der Zeit ein beliebter und auch wohlhabender Mann. Er besaß große Kenntnisse im hebräischen Schrifttum und ich habe, als ich mich für den Eintritt in das Seminar vorbereitete, bei ihm Interricht in Raschi, Schulchan, Aruch und Mischna gehabt.

(in: Volk und Scholle 1923, S. 13)



Die Emanzipation der Juden und ihre rechtliche Gleichstellung in der ersten Hälfte des 19. Jh. führte auch in Gudensberg zu einem Anwachsen der Gemeinden und zu zunehmendem Wohlstand, nicht zuletzt dadurch, daß Berufsbeschränkungen sowie Schutzgeldzahlungen aufgehoben wurden und Juden Grundbesitz erwerben konnten. In diese Zeit fällt auch die Einrichtung der israelitischen Schule sowie der Bau der neuen Synagoge, die 1843 eingeweiht wurde.

Durch den Anschluß Kurhessens an das Königreich Westfalen wurden die Juden von den Folgen des Fremdenrechts befreit.

In einem königlichen Dekret vom 27.1.1808 heißt es dazu, daß "die Untertanen, wlche der mosaischen Religion zugetan sind, in den Staaten dieselben Rechte und Freiheiten genießen sollen wie die übrigen Untertanen."
(Engelbert, S. 23)


Nach den Freiheitskriegen blieb zwar die prinzipielle Gleichstellung der Juden erhalten, jedoch wurden ihnen wieder Beschränkungen, was ihre Freizügigkeit und den Handel betrifft, auferlegt. 1818 wurden die Schutzgeldzahlungen für Juden in Kurhessen aufgehoben.

Die weitere Entwicklung der jüdischen Gemeinde im 19.Jh. dokumentieren folgende Zahlenangaben:

1812 52 Männer
1834 122 Personen
1843 125 "
1855 167 "
1871 194 "
1895 154 "
1905 147 ", ca.. 35 Familien

Im 19.Jh. war Gudensberg ab 1823 lange Zeit Sitz des Kreisrabbinats der Kreise Fritzlar und Melsungen. Bekannter Rabbiner war Mordechai Wetzlar. In dessen Amtszeit fällt auch die Einrichtung einer jüdischen Volksschule in Gudensberg im Jahre 1825, die eine der ältesten ihrer Art in Kurhessen ist. Als Kurhessen 1866 preußisch wurde, blieben die rechtlichen Verhältnisse der Juden unverändert.

Die ehemalige jüdische Synagoge von Gudensberg

Die Synagoge ist in vielerlei Hinsicht beachtenswert. Im Gegensatz zu vielen kleinen Fachwerksynagogen jüdischer Landgemeinden ist die Gudensberger Synagoge ein massiver Stein bau im neuromanischen Stil. Beachtenswert ist die Größe des Gebäudes. Sie hat eine Grundfläche von 14 x 15 m und einen Innenraum von 111 m2, Treppenhaus und Empore. Sie bot Platz für ca. 280 Personen. Angeschlossen an die Synagoge war die israelitische Volksschule mit der Lehrerwohnung. Darüberhinaus hat das Synagogengebaude eine kunst- und architekturgeschichtliche Bedeutung, die weit über Gudensberg hinausgeht. Planer und Erbauer der Synagoge ist der aus Kassel stammende Architekt Albrecht Rosengarten. Albrecht Rosengarten war der erste jüdische Architekt, der Synagogen baute. Dazu gehörten u.a. die großen Synagogen in Kassel, Hamburg, Wiesbaden und Wien. Rosengartens Architektur war geprägt von dem Anliegen, die Integration der Juden auch im Baustil zu symbolisieren. Vorbild und damit gemeinsame Wurzel für Juden und Christen war für ihn die Basilika.

Da all diese Synagogen zerstört worden sind, ist davon auszugehen, daß die Gudensberger Synagoge eine der wenigen, wenn nicht so gar die einzige noch erhaltene Synagoge dieses Architekten ist.

Die gesamte Baugeschichte ist dokumentiert und erhalten im Staatsarchiv Marburg und damit für uns rekonstruierbar.

Thea Altaras beschreibt in ihrem Buch "Synagogen in Hessen – Was geschah seit 1945?" die Baugeschichte einer Synagoge folgendermaßen:

Der Ablauf eines in dieser Dokumentation erfaßten Synagogenbaues verlief etwa folgendermaßen: Nachdem die Gemeindemitglieder aus eigener Initiative den Beschluß gefaßt hatten, eine Synagoge zu bauen, legte deren Vorstand der zuständigen Behörde einen Antrag mit Begründung und diesen Mitgliederbeschluß vor. Danach forderte die Behörde die Gemeinde auf, ein Gutachten vom Landbaumeister oder Bauinspektor oder Bezirksbaumeister anfertigen zu lassen, aus dem ersichtlich sein würde, warum ein Synagogenneubau erforderlich sei. Zum Beispiel, daß die alte Synagoge nicht mehr reparaturfähig oder der Betraum zu klein geworden sei. Bis sich das Innenministerium entschloß, einem Neubau zuzustimmen, vergingen vorab 2-3 Jahre, obwohl ein Nachweis der Gemeinde über die verfügbaren Mittel für den vorgesehenen Bau bereits vorlag. Die weitere Abwicklung war durch die Suche nach einem für diesen Synagogenneubau günstigen und in Frage kommenden Baugrundstück gekennzeichnet. Dabei waren neue Gutachten unumgänglich. Danach mußten Baupläne und Kostenanschläge vorgelegt werden, mit deren Anfertigung wiederum die gleichen Fachleute von der Gemeinde beauftragt wurden. Dieser Vorgang war von der Verpflichtung der Gemeinde begleitet, genaueste Angaben über die Finanzierung des Neubaues zu erbringen. Auf die Baugenehmigung wartete die Gemeinde im Durchschnitt weitere 4-5 Jahre, und dies nur bei reibungslosem Verlauf des Verfahrens. In vielen Fallen jedoch bahnten sich Schwierigkeiten an, die eine Verzögerung von weiteren 1-2 Jahren mit sich brachten.

Die Bauzeit war überwiegend problemlos und dauerte höchstens 1-2 Jahre. Wenn man zu diesem Zeitaufwand auch die allfälligen Kosten einschließlich aller Gutachten und Pläne hinzurechnet, hatten der Gemeindevorstand wie auch alle Gemeindemitglieder durch einen Synagogenneubau großen und schweren Verpflichtungen nachzukommen.

Gudensberg ist hierfür ein Beispiel:

Seit 1714 fand regelmäßig jüdischer Gottesdienst in Gudensberg statt, der bis zur Einweihung der hiesigen Synagoge im Herbst 1843 in Betlokalen abgehalten wurde.

Ein rasches Anwachsen der jüdischen Gemeinde im 18. und 19. Jh. sowie zunehmender Wohlstand - im Jahre 1811 lebten in Gudensberg 25 jüdische Geschäftsleute - unterstützten den Wunsch der Gemeinde nach einer Synagoge. So heißt es beispielsweise in einem Schreiben des Gemeindeältesten an das Kreisamt Fritzlar vom 02.08.1825, daß aie "Synagogengemeinde so zahlreich und so wohlhabend sei, daß dieselbe nicht allein zum Bau einer Synagoge, sondern auch zur Besoldung einiger Lehrer, folglich zur Einrichtung einer Schule, im Stande sei".

1834/35 beantragt die jüdische Gemeinde den Ankauf des Wiegandtschen Hauses fur die Judenschaft, "damit die Gemeinde endlich die so dringend notwendige Verbesserung des Lehrer- und Schulhauses sowie die Anlage einer gänzlich dahier mangelnden Synagoge bewirken könne".

Die Bauplanungen begannen 1837, mit dem Bau selbst wurde im Frühjahr 1840 begonnen. Einweihung war im September 1843. Die Kosten für den Bau der Synagoge trug die jüdische Gemeinde selbst. Sie beliefen sich auf 5.453 Reichstaler, 6 Silbergroschen, 5 Heller. In den folgenden Jahrzehnten fanden mehrfach Renovierungsarbeiten in der Synagoge statt, u.a. wurde 1910 elektrisches Licht in die Synagoge gelegt. Die Renovierungsarbeiten im Jahre 1925 wurden mit Mitteln des nach Philadelphia in Amerika ausgewanderten Gudensberger Juden Isaac Mansbach snanziert. Dazu heißt es in der Gudensherger Zeitung vom 01.Febr. 1925:

"Edle Spende. Der 78-jährige Deutsch-Amerikaner J. Mansbach in Philadelphia, gebürtig aus Maden, übersandte der hiesigen gemeinde zu Renovierung ihrer Synagoge den Betrag von 5.000 Dollar. Vor etwa 25 Jahren weilte er in seiner Heimatgemeinde zu besuch."

Anlässlich der Wiedererdffnung der Synagoge im September 1925 berichtet die Gudensberger Zeitung am 16. September 1925:

"Einweihung. Für die hiesige israelitische Gemeinde war der vergangenene Samstag ein Tag besonderer Bedeutung. An demselben wurde in der vollständig erneuerten Synagoge, die im Jahre 1843 erbaut wurde, nach fünfmonatlicher Pause zum ersten Male wieder Gottesdienst abgehalten werden, der durch eine auf die Feier des Tages Bezug nehmende Ansprache des Lehrers Perlstein eine besondere Weihe erhielt. Die gründlichere Erneuerung ihres Gotteshauses verdankt die gemeinde der hochherzigen Spende eines edlen Wohltäters, des Herrn Isaac Mansbach in Philadelphia, eines früheren Mitgliedes der hiesigen israelitischen Kultusgemeinde. Der edle Spender sollte leider die Erneuerung des Gotteshauses nicht mehr erleben. Er starb am 18. April d.J. eines plätzlichen Todes. Sein Andenken wird in der hiesigen israeltischen Gemeinde für alle zeiten ein gesegnetes Sein. Die Bauleitung lage in Händen des Regierungsbaumeisters a.D. Eichel in Cassel. Für sämtliche Erneuerungsarbeiten war nur das hiesige Hanswerk herangezogen worden und es hat die ihm gestellte Aufgabe zur größten Zufriedenheit aller in Betracht kommenden Instanzen ausgeführt."

12 Jahre später, 1937, schließt die jüdische Gemeinde, die in den 4 Jahren seit der nationalsozialistischen Machtergreifung auf wenige Mitglieder geschrumpft war, die Synagoge. Der letzte Gemeindevorsteher Meier Löwenstein übergibt die Kultgegenstände an die jüdische Gemeinde in Kassel. In einem Gesamtverzeichnis dieser Gegenstände, das im Zusammenhang mit Wiedergutmachungsantragen erstellt wurde, wurde der Wert 1960 mit 78 150 DM angegeben.

Am 18.Juli 1938 wird das Synagogengebäude für 3 000 Reichsmark verkauft. Das Gebäude wurde umgebaut, die Empore abgerissen, zwei Zwischendecken auf geänderter Holzkonstruktion eingezogen. Nach Einbau eines Lastenaufzuges und Durchbruch eines Garagentores auf der Rückseite, diente das Haus als Lager und Garage.

Zurück zur Geschichte der jüdischen Gemeinde.

Zu diesem Zeitpunkt 1938 gab es keine jüdische Gemeinde mehr in Gudensberg, keine jüdischen Bürger.

Wie kam es dazu?

Im Vergleich mit anderen jüdischen Landgemeinden zeigt sich, daß eine Integration von Juden und Christen in Gudensberg gelungen ist. Dokumente, Biographien und Zeitzeugen belegen dies.

Namen und Ruf beispielsweise des Kreisrabbiners Mordechai Wetzlar,
des aus Gudensberg stammenden Kasseler Bankiers Manns Elias,
des Lehrer Israel Meier Japhet, dessen Sohn in London ein Bankhaus gründete,
von Dr. Hermann Engelbert aus Gudensberg, der ab 1866 Rabbiner und Talmutgelehrter in St. Gallen war,

waren nicht nur mit der jüdischen Gemeinde sondern auch mit der Stadt Gudensberg verbunden.

Auch die Sozialstruktur, wirtschaftliche und gesellschaftliche Positionen förderten das Zusammenleben und die Integration in Gudensberg. Die meisten Juden waren Händler und Geschäftsleute oder übten Handwerksberufe aus.

Jüdische Mitbürger waren in fast allen Wirtschaftsbereichen und Handwerksberufen tätig. Es gab drei Textilgeschäfte, Schuhgeschäfte, ein Uhren- und Schmuckgeschäft, einen Fahrradhändler, eine Buchhandlung mit Buchbinderei, einen Friseur, Schneider, mehrere Bäcker und Metzger, zahlreiche Viehhändler, Fuhrunternehmer, Kaufleute und Kleingewerbetreibende und in Obervorschütz einen Gastwirt.

Wenig bekannt ist beispielsweise, daß wesentliche Entwicklungen im 18. Jh. gerade im ländlichen Bereich, beispielsweise technische Neuerungen wie Maschinen und Düngemittel in der Landwirtschaft, die Viehvermeierung und die Gründung von Genossenschaftsbanken von Juden eingeführt wurden, daß der oft angeprangerte Geldverleih erst die Basis für die Entwickung des frein Bauerntums war.

Über den Viehhandel berichtet uns Julius Mansbach, dessen Vater und Onkel eine Viehhandlung in der Bahnhofstraße besaßen:

"Mein Vater war der bessere Verkäufer, mein Onkel der bessere Einkäufer. Im Frühjahr reiste Onkel nach Ostfriesland und Ostpreußen, um Jungvieh einzukaufen, das in Waggonladungen nach Gudensberg kam. Mein Vater verkaufte dasselbst an die Bauern, hauptsächlich in Gudensberg und Dissen, die mit wenigen Ausnahmen seine Kunden waren. Bezahlt wurde er im Herbst, wenn die Bauern Kühe und Ochsen fett gemacht durch den Sommer, in den Kasseler Schlachthof schickten und von meinem Vater an die dortigen Metzger verkauft wurden. Natürlich handelte er auch mit Milchkühen, Zugochsen, Pferden usw.

Es war ein schweres Geschäft, bei Wind und Wetter, heiß oder kalt, mit Pferd und Wagen auf die Dörfer zu fahren".

In Gudensberg gründeten jüdische Bürger 1922 eine Gewerbebank, der Kaufmann Aron Hahn war mehrere Jahre im Vorstand, der Viehhändler Leopold Mansbach Aufsichtsratsmitglied dieser Bank.

Im Stadtparlament war die jüdische Gemeinde mit einer eigenen Liste und Abgeordnetenvertretern. Der Lehrer Beind Perlstein und der Schmuck- und Goldwarenhändler Julius Wallach waren Mitglieder des Stadtparlaments in den 20iger Jahren.

All dies war nicht selbstverständlich. Sicherlich gab es bereits vor 1933, auch im 19. Jh. parallel zur Emanzipation der Juden, einen latenten Antisemitismus. Gerade in Nordhessen war der politische Antisemitismus besonders stark ausgeprägt. Abgeordnete wie Otto Böckel aus Marburg oder Max Hugo Liebermann von Sonnenberg, der den Wahlkreis Fritzlar-Homberg-Ziegenhain lange Jahre im deutschen Reichstag vertrat, prägten das Profil unseres Raumes nachhaltig und legten wesentliche ideologische Grundlagen, die von der NSDAP später aufgegriffen und fortgeführt wurden. Dennoch konnten diese Ideen vor 1933 nicht bis zum Alltagsleben durchschlagen und das Zusammenleben und -arbeiten von Juden und Nichtjuden wesentlich beeinträchtigen. Dies ergibt sich auch aus dem Studium lokaler Quellen und wird durch Aussagen von Zeitzeugen bestätigt.

Frau Wartenberg, geb. Löwenstein, deren Eltern eine Buchhandlung und Buchbinderei am Alten Markt in Gudensberg besaßen, und die 1940 in die USA emigrierte, schreibt dazu:

Der Alltag der Juden in Gudensberg vor 1933 war genau wie bei allen Einwohnern ziemlich geregelt, es gab keine Unterschiede, jeder kannte den anderen, jeder ging seiner Arbeit nach, um sich und seine Familie zu ernähren. Es herrschte in gutes Verhältnis mit jedem.

Meine Erlebnisse vor der Hitlerzeit waren nur die besten. Ich war mir immer bewußt, daß och Jüdin bin, ich habe an den Feierlichkeiten teilgenommen, mit anderen Worten, es war ein gutes Zusammenleben mit allen Mitbürgern ohne Vorurteile.

Mehrere Betriebs- und Arbeitsjubiläen unterstreichen die Kontinuität jüdischer Unterrlehmen in Gudensberg bis 1933. Ein Beispiel dazu: Im Juli 1927 feierte der Fahrradhändler Julius Naschelsky sein 25jähriges Geschäftsjuhiläum. Dazu war in der Gudensberger Zeitung vom 02.07.1927 zu lesen:

"Am Montag kann die Firma J. Naschelsky, Fahrradhandlung, den Tag feierlich begehen, an dem sie vor 25 Jahren gegründet wurde. Aus kleinen Anfängen heraus hat der Geschäftsinhaber durch Fleiß und Tüchtigkeit das Geschäft auf die heutige Höhe gebracht. Der Fahrradhandlung und Reparaturwerkstatt hat er nach dem Kriege eine Leder- und Lederwarenhandlung angegliedert. Am Mittwoch wird der moderne Neubau mit zwei großen Schaufenstern in der Kassel-Frankfurter-Straße bezogen. Möge das Geschäft weitere 25 Jahre blühen und gedeihen."

Nicht ganz sieben Jahre später, am 17.01.1934 liest man in der Gudensberger Zeitung:

"Das Geschäftshaus des Fahrradhändlers J. Naschelsky ging durch Kauf in die Hände der Firma Gebrüder Pilgram über."

Dies war kein Einzelfall, eine handschriftlich verfaßte Liste überschrieben "alle jüdischen Häuser, welche zwangslaufig durch die Nazi in anderen Besitz Infamen, Gemeinde Gudensberg", und die offensichtlich im Auftrag der allieerten Besatzungsbehörden nach 1945 erstellt worden ist, nennt 26 Grundstücksverkäufe und schließt mit dem Satz "Außerdem sind noch Gärten, Ländereien, Wiesen und Gemeindenutzen in anderen Händen".

Diese systematische Entrechtung und Enteignung jüdischer Mitbürger, die zwar nach außen u.a. durch notarielle Kaufverträge den Schein formaljuristischer Korrektheit wahrten, nahmen jüdischen Mitbürgern die Existenzgrundlage und waren ein nicht wiedergutzumachendes Unrecht, das in der Verordnung Görings über die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12.11.1938 seinen Höhepunkt fand.

Die Juden waren gezwungen, Hauser und Grundbesitz weit unter Preis zu verkaufen, die Kaufverträge wurden oft nur zum Teil oder später gar nicht mehr den früheren Besitzern ausgezahlt, sondern auf Sperrkonten hinterlegt und flossen so zur Finanzierung in die nationalsozialistische Kriegswirtschaft.

Die Verfolgung jüdischer Mitbürger in Gudensberg begann 1933 gleich nach der Machtergrei-fung der Nationalsozialisten. Frau Wartenbere berichtet darüber:

"Zur Frage, welche Veränderungen gab es nach 1933, zuerst war es ziemlich gut, die Leute sagten uns öfters. Wir haben nicht gegen die alten einsässigen jüdischen Bürger, nur die Ausländer sollen wier aus Deutschland raus'.

Aber das war nur der Anfang und mit der Zeit wurde es nur schlimmer, die Hetzreden, die Angrifffe und Beleidigungen gegenüber unschuldigen Menschen, an Läden, Gasthäsuern und an allen Lokalen wurden Schilder angebracht: "Juden sind hier unerwünscht". Aber viele Nachbarn waren sehr hilfsbereit, haben den Juden Mit Lebensmitteln ausgeholfen und waren gegen die neuen Gesetze, aber dann nahm es doch Überhand. Als im Jahre 1934 der Boykott kam, hatten die SA vor den Türen Wachen aufgestellt, so worden die Juden gezwungen, ihre Geschäfte zu schließen. Sie kamen mit Schildern "Die Juden sind unser Unglück und anderen Greuelmärchen. Es war eine große Enttäuschung, zu erleben, wie alte freunde sich in unfreundliche Menschen umwandelten, wahrscheinlich haben sie es aus Angst oder unter Zwang tun müssen."

In einem Flugblatt der NSDAP Ortsgruppe Gedensberg vom 01.04.1933 an die jüdischen Einwohner von Gudensberg, das uns Herr Julius Mansbach zuschickte, und dessen Echtheit durch Archivfunde bestatigt wird, heißt es:

"An die jüdischen Einwohner in Gudensberg

Um der wahnsinnigen und bewußt verbreiteten Greuelpropaganda im Auslande des internationalen Judentums über das neue Deutschland Einhalt zu gebieten, sieht sich die NSDAP veranlaßt, energische Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Wir fordern Sie daher auf, sich bis auf weiteres jeglicher Handelsgeschäfte in und außer dem Hause mit deutschen Staatsbürgern zu enthalten.

Ihre eigene Sicherheit erfordert es, die Straße in den nächsten Tagen zu meiden.
Den Anordnungen der diensttuenden S.A. ist unbedingt Folge zu leisten. Nur dann sind wir in der Lage, Ausschreitungen zu verhindern und ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten.

NSDAP Ortsgruppe Gudensberg"

Angesichts der Ausschreitungen gegen jüdische Bürger erscheint der letzte Abschnitt dieses Schreibens wie ein Hohn. Denn ab 1933 werden jüdische Mitbürger beschimpft, verprügelt und mißhandelt, jüdische Häuser und Geschäfle beschädigt und geplündert und einzelne Juden in den berüchtigten Karlshof nach Wabern in Schutzhaft verschleppt. Dazu schreibt Frau Wartenberg:

"Die Ausschreitungen und Mißhandlungen gegen die Juden meistens von jungen Männern aus den Nachbardörfern ausgeführt. Ich weiß von Fällern, daß einige Herren geschlagen wurden, obwohl sie bei der einheimischen Bevölkerung einen guten Namen hatten und sehr angenehme Mitbürger waren. Ein kleiner Grund konnte schon sein, daß jemand seine Rechnung nicht bezahlen wollte, dann hat er seine Kameraden aufgefordert, die Tat zu begehen, da sie wußten, daß die Polizei blind dazu war. So wurde das Leben für die Juden auf den kleinen Plätzen unmöglich gemacht, und man versuchte, nach den großen Städten zu ziehen oder, wenn es möglich war, ins Ausland auszuwandern."

Über Mißhandlungen im Karlshof berichtet ein jüdischer Mitbürger aus Gudensberg, der Ende Juni/Anfang Juli 1933 mit anderen Gudensberger Juden nach Wabern verschleppt wurde:

"Am 30. Juni 1933 wurde ich im Zusammenhang eines Vorgehens gegen die jüdischen Männer aus der Gemeinde Gudensberg mitverhaftet und auf Maßnahmen der NSDAP-Ortsgruppe Gudensberg hin, und mit einem Viehtransportwagen nach der Erziehungsanstalt Wabern verbracht, wo wir in Haft gehalten wurden. Der Transport kam etwa gegen 8 Uhr abends in Wabern an. Die Verhaftung wurde vorgenommen durch SA-Männer, sämtlich in Gudensberg z.Z. ansässig. Ort der Verhaftung war im Hotel in Gudensberg. wo der Transport zusammengestellt wurde. Während der nacht vom 30. Juni 1922 auf den 1. Juli 1933 wurde ich in die Züchtigungszelle bei der Erziehungsanstalt Wabern, die schlecht beleuchtet war, geführt und von unbekannten Rowdies auf das schwerste mißhandelt. ich erhielt mit einem Gummeknüppel Schläge auf den ganzen Körper derart, daß blaue Striemen sich monatelang und teilweise auch jetzt noch zeigen. U.a. wurden die Schläge auch gegen meinen Hinterkopf geführt, an dessen Verletzungen ich heute noch leide. Bei diesen Exzessen wurde ich dazu noch mit Fußtritten traktiert, die eine Nierenverletzung zur Folge hatten.

Am 2. Juli 1933 wurden wir aus der Haft entlassen. Nach der Ankunft in Gudensberg begab ich mich in Behandlung eines praktischen Arztes in Gudensberg, der konstatierte:

1. Hinterkopfverletzung mit einem Gummiknüppel
2. Nierenverletzung durch Fußtritte.

Als weitere Zeugen der Mißhandlung nenne ich die Mithäftlinge.

Bei der Ankunft von Wabern in Gudensberg durfte ich die Wohnung nicht verlassen. Das Schlafzimmer, in welchem ich zu Bett lag, wurde von dem damaligen Ortspolzisten bewacht. Vermutlich wurde diese Maßnahme getroffen, damit ich nicht bei meinem durch die Mißhandlungen in Wabern verurscahten körperlichen Zustand und Aussehen mich in der Öffentlichkeit zeigen durfte. Auch wollte ich vermeiden, daß das Publikum von diesen viehischen Rohheiten erfuhr.

Es erscheint begreiflich, daß ich unter diesen Umständen meine Auswanderung nach USA mit nachdruck ab dieser Zeti in die Wege leitete. Mit Unterstützung eines von mir seit Jahren in USA wohnenden Bruders war es dann möglich, Anfang 1934 auszuwandern."


Welche Möglichkeiten den jüdischen Mitbürgern nach Entrechtung und Mißhandlung blieb, haben beide Zeitzeugen beschrieben: Gudensberg verlassen, in eine andere Stadt ziehen oder ins Ausland emigrieren.
Bei der Verfolgung und Vertreibung jüdischer Mitbürger wurde in Gudensberg im wahrsten Sinne des Wortes gründliche Arbeit geleistet, anders als in manch anderer Kleinstadt, in der die eine oder andere jüdische Familie die Zeit des Nationalsozialismus überlebt hat. Im Mai 1938 verließ wohl die letzte jüdische Familie Gudensberg, was damals in der Kurhessischen Landeszeitung vom 05.05.1938, wie folgt, dargestellt wurde:

"Gudensberg ist judenfrei

Ein fünfjähriger zäher Kampf gegen das Judentum in der Stadt Gudensberg ist nun endlich von einem Erfolg gekrönt. Wer früher durch das alte Chattenstädtchen wanderte, begegnete auf Schritt und Tritt dem artfremden Element., das sich hier ganz besonders wohl fühlte und breit gemacht hatte. Die Judengemeinde zählte bei der Machtübernahme 124 Mitglieder, sie stellten einen eigenen Vertreter im Stadtparlament, der sehr oft das Zünglein an der Waage war und die Abstimmung maßgeblich beeinflusste.In der eines Juden lag ferner das Amt eines Schiesmannes. Deutsche Volksgenossen mußten sich vom Talmudjuden richten lassen. In den bürgerlichen Vereinen waren die Juden als Vorstands- oder Ehrenratsmitglieder tonangebend. Überall machten sie ihren Einfliß geltend, nur nicht bei der Arbeit. Wie eine Landplage überschwemmten sie als Güterschlächter, Hausierer und Viehhändler die umliegenden Dörfer des Cattengaues, um den deutschen Volksgenossen den Ertrag ihrer Arbeit abzugaunern. Wieviele Tränen mögen vergossen sein, wenn die Elias, Hofmann, Katz, Olaut und Mansbach deutsche bauern um Haus und Hof gebracht hatten. Diese Zeiten sind nun endgültig vorbei. Heute haben wir die Gewißheit, daß sich in den Mauern der Stadt kein Jude mehr aufhält und auch in Zukunft nie mehr eine Jude seßhaft werden wird. Die Judenplage ist wie eine Alpdruck von der Bevölkerung Gudensbergs gewichen. Die gesamte Einwohnerschaft dankt der Ortsgruppe der NSDAP, insbesondere dem Ortsgruppenleiter, für den unermüdlichen Kampf und die Befreiung des schönen Chattenstädtchens Gudensberg von jüdischen Schmarotzern."

Was geschah mit den jüdischen Mitbürgern aus Gudensberg, was wissen wir heute darüber?

Nach dem eben zitierten Zeitungsbericht lebten am 30.01.1933 124 Juden in Gudensberg. Aus den Akten des Bundesarchivs in Koblenz ergibt sich, daß mindestens 53 Juden, die in Gudensberg, Maden oder Obervorschütz geboren sind oder dort gelebt haben, in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet worden sind oder als verschollen gelten.
In dem Kasseler Gedenkbuch „Namen und Schicksale der Juden Kassels“ werden sechs weitere Juden aus Gudensberg genannt. Von Frau Lindemeyer, geb. Engelbert, deren Eltern ein Textilgeschäft in der Fritzlarer Straße besaßen, und die 1935 Gudensberg verlassen hat, 1939 von Frankfurt am Main nach England ausgewandert ist und seit 1948 in Philadelphia, USA wohnt, haben wir erfahren, daß nicht nur ihr Vater, sondern auch ihre Mutter am 11.11.1941 von Frankfurt am Main aus in das Konzentrationslager Minsk deportiert wurde und als verschollen gilt. Nach dem jetzigen Stand sind also mindestens 60 Gudensberger Juden in Konzentrations-lager deportiert und dort ermordet worden oder gelten als verschollen.
Wahrscheinlich die einzigen Gudensberger Juden, die die Deportation in ein Konzentrationslager überlebt haben, sind Meyer und Auguste Löwenstein. Ihre Tochter Ruth Wartenberg berichtet darüber:

"Meine Eltern wurden von Frankfurt/Main im Jahre 1941 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo viele Menschen an Hunger und Ungeziefer den Tod erleiden mussten. Da mein Vater Buchbinder war, mußte der dort in einer Kartonagenfabrik arbeiten, das schützte ihn und meine Mutter, so daß sie dort bleiben konnten und nicht weiter verschickt wurden, wo die Vergasung gang und gebe war.

In 1944 hatten sie das Glück, durch einen einmaligen Austausch für Arzneien und Lastwagen zwischen den USA und Deutschland, vermittelt durch den bekannten Graf Bernadotte, mit 1.400 Menschen von dem schweren Los nach der Schweiz gebracht zu werden. Damals waren sie nur Haut und Knochen mit halbem Gewicht, das sie früher besaßen. Dort konnten sie sich über eine Jahr lang von den Strapazen erholen. Nach dem krieg in 1945 war es möglich, beide nach den USA zu bringen, wo sie wieder ein angenehmes Leben aufnehmen konnten. Mein Vater war für einige Jahre tätig, worauf er sehr stolz war.

Die Zahl der jüdischen Familien aus Gudensberg, die nach 1933 ausgewandert sind, gibt Paul Arnsberg in seinem Buch "Die jüdischen Gemeinden in Hessen“ mit 12 an. Nach unseren Nachforschungen sind mindestens 20 Familien oder Einzelpersonen ins Ausland emigriert. Doch auch nicht allen gelang die Flucht in die Freiheit. Einige wurden im Ausland, z.B. in Holland nach der Okkupation durch die Nationalsozialisten verhaftet ünd deportiert, wie beispielsweise die Familie Leopold Mansbach aus Gudensberg. Dazu schreibt uns Frau Hollander, geb. Mansbach, die Schwester von Julius Mansbach, die heute zusammen mit ihrem Bruder in Chicago lebt:

"Aber als die Nazis an die Macht kamen, gingen mein Bruder und ich, auch Onkel Leopold mit seiner Familie in 1933 nach Holland, wo seit über 20 Jahren zwei Schwestern unseres Vaters mit holländischen Männern verheiratet waren. Leider war Holland zu nahe bei Deutschland und mehr als Mitglieder unserer Familie, darunter auch mein Onkel, Tante, Cousine Beate sind ermordet worden. Irwin, der älteste Cousin ist bei einem Bombenangriff in Rotterdam verbrannt, und nur Julius, der in einem Dorf untergebracht war und für 2 1/4 Jahre in einem Loch in der Wand gelebt hat, ist am Leben geblieben. Der Schmied und seine Frau haben ihn so gut versteckt, daß selbst die Nazis bei ihren Hausdurchsuchungen nach versteckten Juden ihn nicht gefunden haben. Nach der Befreiung 1945 brachten wir ihn nach Amerika, wo er seit 1947 in San Francisco lebt."

Damit endet die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Gudensherg. Die israelitische Schule wurde bereits am 01.01.1934 geschlossen. Dazu vermerkt der Lehrer Hermann Stern in der Schulchronik:

"Lt. Verfügung der Regierung wurde ich 01. Mai beurlaubt. Ich erteile von da an nur noch den Religionsunterricht. Schweren Herzens heißt es nun Abscheid nehmen von der mir so lieb gewordenen Tätigkeit. Die Hoffnung, wieder in den Dienst zu kommen, hat sich leider zerschlagen; denn laut Verfügung des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Unterricht wurde ich nebst den anderen jüdischen Kollegen unseres Hessenlandes in den Ruhestand versetzt. Damit ist der Schlußstrich gezogen unter ein kapitel Schulgeschichte."

Unsere Beschreibung soll jedoch nicht enden, ohne daß die Gudensberger Mitbürger genannt werden, denen die Juden bei allem Leid und Unrecht viel verdanken, die trotz des nationalsozialistischen Terrors Menschlichkeit und Nächstenliebe bewahrt und ihren jüdischen Mitbürgern geholfen haben. Dazu schreibt Frau Hollander:

"Vielleicht wird es sie interessieren, wenn ich Ihnen schreibe, daß wir viele Freunde unter den Bauern hatten, wie z.B. Heinrich Förster, Karl Koch und vor allen Dingen Knaust in der Besser Straße. Sie alle brachten uns Lebensmittel, Obst, Gemüse. Frau Knaust kam jede Woche unter Lebensgefahr zu uns und half uns, bis wir ausgewandert sind. Ich danke es ihr bis an den heutigen Tag. Sie hat für ihre Güte ein langes Leben verdient. Es gibt nicht viele Menschen, die ihr gleich stehen. Sie hat alles unter eigener Lebensgefahr getan und wir haben sie oft gebeten, nicht mehr zu kommen. Wir hatten Angst, daß einer von den Nazis sie shen konnte und melden."

Das Synagogengebäude in Gudensberg nach 1945:

Vergessen, verdrängt, wiederentdeckt

Keiner der jüdischen Mitbürger, die den Holocaust überlebt haben, ist nach Gudensberg zurückgekehrt. Die, die nach 1933 emigrieren mußten, leben teilweise heute noch in den USA, in Israel, Südamerika, Südafrika oder in anderen Ländern.

Was blieb, sind steinerne Zeugnisse jüdischer Geschichte und Kultur in unserer Stadt.

Es mutet seltsam an, daß ein Gebäude wie die ehemalige Synagoge in Gudensberg nicht wahrgenommen wurde. Jedenfalls fast 40 Jahre.
Thea Altaras hat in ihrem Buch über die "Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945?" zusammengestellt, daß neben den am 09./10. Nov. 1938 zerstörten 136 Synagogen in Hessen nach 1945 66 weitere abgerissen wurden.

Ehemalige Synagogen, als Stätten der Begegnung, gibt es drei, alle in Südhessen.

Die Entwicklung in Gudensberg war über lange Jahre eine Gradwanderung zwischen allmäligem Verfall und Vergessen und Engagement für Restaurierung und neuer Nutzung. Mit der Entscheidung für den Ankauf durch die Stadt Gudesberg und für die Renovierung war die Entscheidung für Erhalt und Neugestaltung gefallen. Mit dem heutigen Tag erhält das Synagogengebäude neue Bestimmungen und Nutzung, die dieses Haus sicherlich mit Leben erfüllen werden.

Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang allen, die sich für den Erhalt und Restaurierung der ehemaligen Synagoge eingesetzt haben. Dank an diejenigen, die dies ermöglicht und finanziert haben und vor allem denjenigen, die mit Fachkenntnis und Arbeitseinsatz die Renovierung durchgeführt haben.

Möge dieses Haus bei seinen vielfäligen Nutzungen auch eine Begegnungsstätte für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Gudensberg, die den Holocaust überlebt haben und für die Gudensberg trotz allen Leids Heimat geblieben ist und für deren Familien und Nachfahren sein.


Verwendete Literatur:  
Altaras, Thea: Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945? Königstein 1988
Arbeitskreis Synagoge Gudensberg e.V: Aus dem Alltagsleben der jüdischen Gemeinde in Gudensberg. Bilder und Dokumente

Gudensberg 1981

Arnsberg, Paul: Geschichte der jüdischen Gemeinden in Hessen.

Band l

Frankfurt/Main 197

Brunner, Hugo: Gudensberg

Kassel 1922

Elias Michael: Bilder aus einer kleinen Stadt

Volk und Scholle 3 1923

Engelbert, Sally: Das Recht der israelitischen Religionsgemeinschaft in Kurhessen

Marburg 1913

Klein, Hans-Peter: Aus dem Alltagsleben der jüdischen Gemeinde in Gudensberg

Redebeitrag zur Gedenkveranstaltung am 09.Nov. 1988

Gudensberg 1988

Krause-Willenberg, Horst

Klein, Hans Peter

Die Geschichte der Juden im (heutigen) Schwalm-Eder-Kreis

Im Jahrbuch 1993 Altkreis Melsungen

Melsungen 1994