Sind Melsunger Juden in Auschwitz ermordet worden ?

Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe von Hans-Peter Klein, Melsungen

Um dieser Frage nachzugehen, lagen der Arbeitsgruppe folgende Unterlagen vor:

-- eine Liste der deportierten und in Konzentrationslagern ermordeten Männer und Frauen, die in Melsungen geboren sind, aus dem Bundesarchiv Koblenz (Bestand Zsg. 138)

-- eine Liste der deportierten und in Konzentrationslagern ermordeten Männer und Frauen aus Melsungen (Zusammengestellt von Mitarbeitern der Gedenkstätte Breitenau aus dem Gedenkbuch "Opfer der Verfolgung der Juden unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 - 1945", bearb. Bundesarchiv Koblenz und Internationaler Suchdienst Arolsen, Koblenz 1988)

-- Auszüge aus "Namen und Schicksale der Juden Kassels 1933 - 1945. Ein Gedenkbuch", hrsg. v. Magistrat der Stadt Kassel, Kassel 1986. mit Namen von Melsunger Juden, die nach Kassel umgezogen sind.

Ergänzt und überarbeitet wurden die Ergebnisse durch Informationen aus dem Archiv des Museums in Auschwitz sowie aus "The Central Database of Shoah Victims´Names" von Yad Vashem.

Aus diesen Dokumenten fanden wir heraus, dass nachweisbar vierzehn Männer und Frauen aus Melsungen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden sind.

Zur weiteren Bearbeitung stellten wir uns folgende Fragen:

1) Wo haben diese Männer und Frauen in Melsungen gewohnt ?

2) Welche Berufe hatten ?

3) Seit wann / wie lange lebten sie bzw. ihre Vorfahren schon in Melsungen ?

4) Wann und wie kamen sie nach Auschwitz ?

5) Ist ein Todesdatum von ihnen bekannt ?

6) Haben die Opfer Nachkommen oder Verwandte ?

Anhand dieser Fragen und mit weiteren Archivdokumenten und Berichten konnten wir folgende Informationen zu den vierzehn Melsunger Juden zusammenstellen:

Fanny Abt, geb. Spangenthal, wurde am 25. 03. 1880 in Spangenberg geboren. Ihre Eltern waren Joseph Aron Spangenthal und Emma, geb. Heinemann. Sie war verheiratet mit Siegfried Abt. Siegfried Abt wurde am 08.04.1870 in Melsungen geboren. Seine Eltern waren Leiser Abt und Settchen, geb. Wertheim. Er war Mitinhaber einer Tabak- und Zigarrengroßhandlung in Melsungen. 1928 erwarb er zusätzlich die Tabakgroßhandlung Hille in Kassel in der Schomburgstraße, wohin er auch der Hauptsitz seines Geschäftes verlegte. Anfang des Jahres 1937 wurde er von den Nationalsozialisten gezwungen, sein Unternehmen aufzugeben.

Fanny und Siegfried Abt wohnten in Melsungen in der Kasseler Straße. In Kassel wohnten sie, nachdem ihnen ihr Geschäft weggenommen wurde ab dem 20. 6.1938 in der Orleansstraße 10, zogen am 21.09.1938 noch einmal nach Melsungen, kehrten am 04. 09.1939 zurück nach Kassel in die Uhlandstraße 7, zogen am 04. 02. 1941 in die Wilhelmshöher Allee 81 ½ und am 29. 01. 1942 in die Schillerstraße 7.

Fanny Abt wurde am 07. 09. 1942 von Kassel aus zusammen mit ihrem Mann Siegfried und ihrer Mutter Emma Spangenthal in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Emma Spangenberg, die am 07.07.18959 in Mansbach geboren wurde, starb am 28.11.1942 in Theresienstadt, Siegfried Abt am 10. 01. 1943.

Fanny Abt wurde am 09.10.1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt, sie wurde für tot erklärt.

Die Tochter von Fanny und Siegfried Abt, Senta Heerdt, geb. Abt, überlebte als einzige Jüdin zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern die Zeit des Nationalsozialismus in Melsungen. Sie starb im Alter von 80 Jahren am 15. 01. 1989 in Melsungen. Ihr Sohn Günter Heerdt lebt in Melsungen.

Berta Bloch, geb. Goldschmidt, wurde am 23. 09.1886 in Melsungen geboren. Ihre Eltern waren Felix Goldschmidt und Dora, geb. Lomitz. Sie lebte während des Krieges in Holland und wurde von dort nach Auschwitz deportiert und dort am 06.09.1944 ermordet.

Paula Helene Ehrlich, geb. Kaufmann, wurde am 16. 08.1868 in Melsungen geboren. Ihre Eltern waren Mendel Kaufmann und Fanny, geb. Jacob. Sie lebte in Berlin, Knesebeckstraße 33, zog nach Amsterdam und wurde von dort nach Auschwitz deportiert und starb dort am 13.11.1942. Ihr Mann Manuel Ehrlich starb 1933 im Alter von 78 Jahren. Eine Enkelin von ihr, Leoni Strohmberg de Riegner lebt in Buenos Aires, Argentinien.

Hermann Levy wurde am 22. 08. 1872 in Melsungen geboren. Seine Eltern waren Leib Levy und Esther, geb. Speier.

Johanna Levy, geb. Levy, wurde am 26. 03 1885 in Melsungen geboren.

Hermann und Johanna Levy waren miteinander verheiratet. Hermann Levy war von Beruf Kaufmann. Das Ehepaar Levy zog am 01. 04. 1911 nach Kassel und wohnte dort in der Kronprinzenstraße 10. Sie zogen am 12. 10. 1932 in den Kirchweg 82, am 31. 01. 1941 in die Moltkestraße 1 in Kassel und von dort am 25. 09. 1941 in die Entengasse 22.

Hermann und Johanna Levy wurden am 07. 09. 1942 von Kassel aus in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Hermann Levy wurde von dort am 28.10.1944 nach Auschwitz gebracht. Beide gelten als verschollen, ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt.

Leopold Levy wurde am 07.10.1877 in Roehrenfurth bei Melsungen geboren. Seine Eltern waren Mendel und Lina Levy. Er war verheiratet mit Paula Levy, geb. Mosheim aus Korbach. Beide wurden nach Theresienstadt deportiert. Leopold Levy starb dort am 30.12.1942. Paula Levy wurde von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und starb dort. Ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt. Ihre Tochter Henny J. Changeat lebt in Forest Hills N.Y.

Rosalie Meyer, geb. Siegel wurde 1876 in Melsungen geboren. Ihre Eltern waren Siegmund Siegel und Karoline, geb. Nassauer. Sie war verheiratet mit Meinhard Meyer, der am 06. 11. 1880 in Meppen geboren wurde. Beide zogen 1934 nach Paris und wurden von Drancy aus ebenso wie ihre Tochter Clara Saevici nach Auschwitz deportiert, Meinhard Meyer mit dem Transport Nr. 46 am 09.02.1943, Rosalie Meyer mit dem Transport Nr. 49 am 02.03.1943 und dort ermordet. Ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt. Sie wurden für tot erklärt.

 Hugo Rothschild wurde am 18. 04. 1888 in Rotenburg a.d. Fulda geboren. Seine Eltern waren Meir und Lina Rothschild.

Bertha Rothschild, geb. Levy, wurde am 12. 02. 1905 in Melsungen geboren.

Hugo und Bertha Rothschild waren miteinander verheiratet und wohnten in Melsungen in der Brückenstraße 48. Dort hatten die Eltern von Bertha Rothschild, Julius und Rebecca Levy, ein Textilgeschäft. Hugo Rothschild war von Beruf Kaufmann. Hugo Rothschild war Soldat im ersten Weltkrieg und erhielt im August 1914 als Unteroffizier das Eiserne Kreuz.

Das Ehepaar Rothschild hatte einen Sohn, Hanns Joseph Rothschild, der am 14.07. 1930 in Melsungen geboren wurde.

Hugo Rothschild wurde nach den Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung in der Reichspogromnacht 08. / 09. 11. 1938 in das Konzentrationslager Breitenau bei Guxhagen gebracht. Danach emigierte die Familie nach Brüssel / Belgien und lebte dort in St. Gilles in der Rue Emile Feron Nr. 162.

Hugo und Bertha Rothschild wurden von dort nach Auschwitz deportiert und dort im Oktober 1942 umgebracht.

Der Sohn Hanns Joseph Rothschild lebt in Johannesburg / Südafrika.

Clara Saevici, geb. Meyer, wurde am 31. 03. 1909 in Melsungen geboren. Ihre Eltern waren Meinhard Meyer und Rosalie, geb. Siegel. Sie lebte ab 1934 in Paris und wurde am 28.10.1942 von Drancy aus mit dem Transport Nr. 38 nach Auschwitz deportiert und umgebracht. Ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt. Sie gilt als verschollen.

Leo Speier wurde am 16.10.1905 in Melsungen geboren. Seine Eltern waren Isaak Speier und Flora, geb. Abt. Isaak Speier besaß ein Lederwarengeschäft in der Kasseler Straße 28. Nach seinem Tod am 11.05.1925 erbte Flora Speier das Geschäft und übertrug es 1927 ihrem Sohn Leo Speier. 1932 meldete Leo Speier Konkurs an und verließ nach der nationalsozialistischen Machtergreifung Melsungen am 06.05.1933. Er zog nach Amsterdam / Niederlande. Dort heirate er Elize Nanethe Jetty Leefsma aus Hengelo, geb. am 01.04.1911. Ihre Eltern waren Heiman und Sara Leefsma. Am 22.12.1935 wurde ihr Sohn Isaac Alfred Speier in Amsterdam geboren. Die Familie kam nach Westerbork und wurde von dort am 08.02.1944 nach Auschwitz deportiert und am 11.02.1944 dort ermordet. Eine Schwester von Elize Nanethe Jetty Speier, Khana Lam, hat ein Gedenkblatt (Page of Testimony) in Yad Vashem ausgefüllt.

Flora Speier, die am 16.01.1939 von Melsungen nach Amsterdam emigrierte und dort in der Gaahstraat 54.I lebte, wurde von Westerbork am 18.05.1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert am am 21.05.1943 dort umgebracht. Im Oktober 2003 wurde zum Gedenken an Flora Speier durch eine Spende von Bernd Köhler aus Melsungen in der Allee von Sobibor ein Gedenkstein aufgestellt.

Hanny Stern, geb. Abt, wurde am 21. 03. 1907 in Melsungen geboren. Ihre Eltern waren Meyer Abt und Emma, geb. Nagel. Sie lebte während des Krieges in Holland und wurde von dort nach Auschwitz deportiert und dort am 07.09. 1942 ermordet.

Lina Weisslitz, geb. Goldschmidt, wurde am 05. 12. 1870 in Melsungen geboren. Ihre Eltern waren Salomon Goldschmidt und Sara, geb. Nussbaum. Sie war mit Jacob Weisslitz verheiratet und zog am 05. 03.1907 nach Kassel in die Wilhelmshöher Allee 121. Am 14. 04. 1931 zog sie in die Wilhelmshöher Allee 117, am 02. 01. 1941 in die Große Rosenstraße 24 in Kassel und am 03. 10. 1941 in die Schillerstraße 7.

Lina Weisslitz wurde am 07. 09. 1942 mit dem Transport XV/1 von Kassel aus in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und von dort aus am 18.12.1943 nach Auschwitz gebracht. Sie gilt als verschollen. Ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt.