Königliches Decret, welches die Errichtung eines Consistoriums und die

Bestellung von Syndiken zur Aufsicht über den jüdischen Gottesdienst verordnet.

Im Pallaste zu Cassel, am 31ten März 1808

(Weitere napoleonische Decrete und Verordnungen im Königreich Westphalen unter:

Rolf Willmanns; www.amshausen.de)


Wir Hieronymus Napoleon, etc.

haben, in Erwägung, dass, wenn die Juden gleich Unsern andern Unterthanen die freie Ausübung ihres Gottesdienstes genießen sollen, diese Religionsübung auch, wie die anderen, Unserer Oberaufsicht unterworfen seyn muss, damit sie nicht mit der Gesetzgebung und derjenigen öffentlichen Moral im Widerspruche stehe, welche die Richtschnur aller Menschen seyn und aus ihnen nur eine winzige politische Gesellschaft bilden muss;

dass die Juden nicht ferner eine getrennte Gesellschaft im Staate ausmachen dürfen, sondern, nach dem Beispiele aller Unserer andern Unterthanen, sich in die Nation, deren Glieder sie sind, verschmelzen müssen;

dass indessen aus dieser Vermischung nicht der Missbrauch erwachsen darf, das ein jeder derselben von den Kosten des Gottesdienstes oder von den Schulden, welche ihre Gemeinheiten entweder zur Bestreitung jenes oder zur Abtragung der ihnen ehemals auferlegten Lasten aufgenommen haben, sich befreit erachte;

auf den Bericht Unseres Ministers des Justizwesens und der innern Angelegenheiten;

nach Anhörung Unseres Staatsrathes,

verordnet und verordnen:


Art. 1. Es soll in Unserer Stadt Cassel ein Consistorium für die jüdische Religion errichtet werden. Diese Consistorium soll bestehen aus einem Präsidenten, welcher ohne Unterschied aus den Rabbinern oder den andern Juden gewählt wird, drei Rabbiner, zwei jüdischen Gelehrten und einem Secretär, und diese Mitglieder sollen Unserem Minister des Justizwesens und der innern Angelegenheiten vorgeschlagen und von Uns bestätigt werden.


Art. 2. Die Ernennung der neuen Mitglieder an die Stelle der verstorbenen oder obgenannten geschiehet auf den vom Consistorium gemachten Vorschlag zweier Candidaten für jeder erledigte Stelle.


Art. 3. Der jährliche Gehalt der Mitglieder des Consistoriums ist auf drei tausend Francs für den Präsidenten, auf zwei tausend Francs für jeden Rabbiner, auf ein tausend Francs für ein jedes der andern Mitglieder, und auf zwei tausend Francs für den Secretär festgesetzt.


Art. 4. Das Consistorium soll beauftragt seyn, die Aufsicht zu führen:

  1. über Alles, was die Religionsübung betrifft;

  2. über die Ansetzung, Erhebung, Verwaltung und Verwendung der zu den Kosten des Gottesdienstes bestimmten Beiträge und Stiftungen;

  3. über die Ansetzung, Erhebung und Verwaltung der Beiträge und Stiftungen, welche zur Besoldung des Consistoriums, zu den Schulen und milden Anstalten, welche die Juden für die Kinder und Armen ihrer Religion unterhalten, bestimmt sind;

  4. über die Ausführung der zum Abtrage der von den ehemaligen jüdischen Gemeinheiten gemachten Schulden getroffenen oder noch zu treffenden Maßregeln.


Art. 5, Die Aufsicht in Betreff der Religionsübung soll unter sich begreifen die Ritualien oder gottesdienstlichen Verordnungen, den Gottesdienst, die Synagogen, die religiöse Disciplin und den Religions-Unterricht; alle diese Gegenstände sollen von dem Consistorium unter der Oberaufsicht und einzuholenden Genehmigung der Regierung angeordnet und festgesetzt werden.

Das Consistorium soll die Rabbiner und jüdischen Schullehrer prüfen und über sie die Aufsicht führen. Dieselben können aber ihr Amt nicht antreten, ohne vorher von Unserem Minister des Justizwesens und der innern Angelegenheiten bestätigt zu seyn.


Art. 6. Das Consistorium soll darüber wachen:

  1. dass die Rabbiner und Schullehrer bei jeder Gelegenheit den Gehorsam gegen die Gesetze und besonders gegen diejenigen, welche sich auf die Vertheidigung des Vaterlandes beziehen, lehren; dass sie in ihrem Unterrichte den Militärdienst als eine heilige Pflicht darstellen, während deren Ausübung das Gesetz von allen damit unvereinbaren religiösen Gebräuchen entbindet;

  2. dass in allen Synagogen öffentliche Fürbitten für Uns und Unser Haus gehalten werden;

  3. dass die Rabbiner die Ehen nicht eher einsegnen und die Ehescheidungen nicht eher aussprechen, als nachdem ihnen das Daseyn der Civil-Urkunde über die Ehe oder Ehescheidung nachgewiesen ist.


Art. 7. Auf den Vorschlag des Consistoriums wird Unser Minister des Justizwesens und der innern Angelegenheiten die Haupt-Synagoge für jedes Departement, so wie die Anzahl und den Ort der untergeordneten Synagogen bestimmen.


Art. 8. Es sollen Syndiken zur Aufsicht in einem jeden Departement bestellt werden, deren Anzahl und Verrichtungen auf den Vorschlag des Consistoriums werden bestimmt werden. Sie sollen auf den Vorschlag des Letztern von Unserem Minister des Justizwesens und der innern Angelegenheiten ernannt werden.


Art. 9. Die Regierung wird gleichfalls auf den Vorschlag des Consistoriums die Ansetzung, Erhebung, Verwaltung und Verwendung der Gelder, die zur Berichtigung der in den obigen Artikeln erwähnten verschiedenen Ausgaben bestimmt sind oder noch bestimmt werden, festgesetzt und die Beitreibungsmittel vorschreiben.


Art. 10. Alle diese Ausgaben und namentlich der Gehalt des Consistoriums, der Rabbiner und der Lehrer, die Unterhaltung und Reparaturen der Tempel und Synagogen, die Schulkosten zur Erziehung der Waisen und Armenkinder, die Unterstützung der Alten und Schwachen, endlich die Schuldender ehemaligen jüdischen Gemeinheiten sollen mittelst der für jeden Gegenstand bestehenden Stiftungen und Verschreibungen berichtigt werden; im Fall diese nicht zureichen sollten, soll das Fehlende durch verhältnismäßige Beiträge ergänzt werden, deren Vertheilungs-Verzeichnisse von dem Präfekten, auf das Gutachten der Unterpräfekten, für executorisch erklärt werden sollen, nachdem sie von dem Minister genehmigt sind.


Art. 11. Die ehemaligen jüdischen Gemeinheiten sollen in denselben Bezirken, welche sie vor der jetzigen Territorial-Eintheilung des Königreiches hatten, fortbestehen, aber als besondere Gesellschaften nur in Hinsicht der von ihnen contrahirten Schulden und der Verschreibungen, wegen welcher die Mitglieder dieser Gesellschaften haften müssen.


Art. 12. Die jüdischen Gemeinheiten haben unverzüglich für die Bezahlung ihrer Schulden Sorge zu tragen, und bis zu deren Berichtigung muss jeder Jude zu den Schulden, Kosten und Lasten der Gemeinheiten, zu welcher er vor der jetzigen Territorial-Eintheilung des Königreichs gehörte, ferner Beiträge leisten.


Art. 13. Jeder Jude, welcher sich in dem Königreiche niederlässt, soll gehalten seyn, innerhalb sechs Wochen sich in die Register der Synagoge, in deren Bezirke er seinen Wohnsitz nimmt, einschreiben zu lassen, um zu den Lasten des Gottesdienstes beizutragen.


Art. 14. Der Personenstand der Juden soll in jeder Gemeinde vom 1ten Mai dieses Jahres an von dem Maire und in dessen Ermangelung von dem Adjuncten beurkundet werden.

Das Consistorium und die Rabbiner haben gemeinschaftlich mit der bürgerlichen Behörde darüber zu wachen, dass die jüdischen Familien die Geburts- Ehe- und Sterbe-Urkunden, den Vorschriften des Gesetzbuches Napoleons gemäss, von diesen Beamten aufnehmen lassen.

Die Maires und Adjuncten haben bei der Führung der Register und der Aufnahmen der Urkunden die Vorschriften des Gesetzbuches Napoleons und Unseres Decrets vom 22ten Januar dieses Jahres zu beobachten.


Art. 15. Innerhalb drei Monaten nach der Bekanntmachung des gegenwärtigen Decrets, sollen alle Juden dem Namen, unter dem sie bekannt sind, einen Beinamen hinzufügen, welcher der Unterscheidungsname ihrer Familie werden soll; sie müssen ihn bei der Municipalität ihres Wohnortes eintragen lassen, und dürfen ihn nicht, weder sie, noch ihre Kinder, bei Strafe der Namensverfälschung, ohne Unsrer Erlaubnis, verändern.

Die Maires haben darauf zu achten, dass sie weder Namen von Städten, noch solche, welche bekannten Familien zugehören, annehmen.


Art. 16. Bei dieser Eintragung der Namen müssen die Juden die Anzahl und das Alter ihrer lebenden Kinder angeben und haben sie zur Unterstützung ihrer Angabe in Betreff des Alters bescheinigte Auszüge der Geburts-Register, wenn deren vorhanden sind, oder sonstiger Documente, welche bisher unter ihnen im Gebrauche waren, vorzulegen. Bei mangelnder Rechtsgültigkeit dieser Register oder Documente soll das Alter ihrer Kinder jedesmal, wo es dessen bedürfen wird, durch Urkunden und Zeugen bewahrheitet werden.


Art. 17. Unser Minister des Justizwesens und der innern Angelegenheiten ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Decrets beauftragt.


Unterschrieben, Hieronymus Napoleon.


Auf Befehl des Königs. Der Ministers Staats-Secretär,


Unterschrieben, Graf von Fürstenstein


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