Die Rechtsverhältnisse der Juden in Preußen
(www.amshausen.de / Rolf Willmanns)
Die Unterlagen für dieses Dokument wurden mir freundlicherweise durch die Staatsbibliothek zu Berlin, Abteilung Historische Drucke zur Verfügung gestellt. Nur dank den außerordentlichen Bemühungen dieses Instituts, sei es bei der Beschaffung von Unterlagen, Hinweisen auf entsprechende Literatur etc. etc. war es möglich, diesen vierten Teil aus der Serie „Wie sich Namen verändern können“ erfolgreich abzuschließen. Den Mitarbeitern der Staatsbibliothek möchte ich an dieser Stelle für ihre Bemühungen meinen besten Dank aussprechen.
Die Texte von Gierke, Eichhorn, Hilse und Stobbe wurden der
entsprechenden Rechtswissenschaftlichen Literatur entnommen.
Bei der Abschrift habe ich mich im ersten und zweiten Abschnitt ausschließlich auf das Königreich Westphalen beschränkt. Die Informationen im dritten Abschnitt galten im ganzen Staate Preußen, und wurden entsprechend angewendet.
Die Rechtsverhältnisse
der Juden in Preußen
seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts.
Gesetze, Erlasse, Verordnungen,
Entscheidungen,
herausgegeben
von
Dr. jur. Alfred Michaelis,
Rechtsanwalt in Hamm i. W.
___________________
B E R L I N 1910
Verlag von Louis Lamm.
V o r w o r t.
Die Herausgabe dieser Sammlung schien mir einem Bedürfnis zu entsprechen. Die letzte Auflage des kurzgefassten Handbuchs „enthaltend die sämtlichen Bestimmungen über die Verhältnisse der Juden im Preußischen Staate“, von C. Zander, das übrigens nur recht bescheidenen Ansprüchen zu genügen vermag, datiert bereits aus dem Jahre 1885. Seitdem ist nicht ähnliches mehr erschienen.
Das Buch soll in erster Linie Auskunft geben auf die zahlreichen Fragen über die besonderen rechtlichen Beziehungen zwischen Judentum und Staat, über die Organisation der preußischen Synagogengemeinden, über die jüdischen Kultusabgaben usw. Fragen, über welche – auch unter den Mitgliedern der Gemeindevertretungen – vielfach Unkenntnis und Unklarheiten herrscht. Doch habe ich von einer systematischen Darstellung des umfänglichen Stoffes abgesehen. Für eine kurze Orientierung in Zweifelsfällen genügen außer dem Text der Vorschriften selbst und einigen wenigen Anmerkungen die über eine Reihe von Streitfragen ergangenen letztinstanzlichen Erkenntnisse, die dem Nichtjuristen meist schwer zugänglich sind und daher größtenteils eine vollständige Wiedergabe gefunden haben. Übrigens besitzen wir jetzt über ein wichtiges Spezialgebiet ein erschöpfendes systematisches Werk in dem Buch von Dr. Ismar Freund: „Die Rechtsstellung der Juden im preußischen Volksschulrecht“ (Berlin, Guttentag, 1908).
Einen weiteren Anlass, mich der nicht ganz mühelosen Arbeit zu unterziehen, boten mir die neuerdings lebhaft geförderten Bestrebungen, die Judengemeinden Preußens im Wege der Gesetzgebung einheitlich zu organisieren, Bestrebungen, die sich bereits zu dem Entwurf eines neuen „Judengesetzes“ verdichtet haben. In eine kritische Würdigung dieses Entwurfs, durch welche das Gesetzeswerk wirklich gefördert werden soll, kann aber meines Erachtens niemand eintreten, der nicht in der Lage ist, die Gestaltung des zur Zeit auf unserem Gebiete in den verschiedenen Teilen Preußens geltenden Rechtes zum Vergleiche heranzuziehen und sich einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der zur Diskussion stehenden öffentlich-rechtlichen Normen, soweit eine solche feststellbar, zu verschaffen. Ohne diese Kenntnis vermag es leicht zu geschehen, dass der Streit um gewisse Einzelvorschriften, die den Sonderwünschen aller Beteiligten gerecht werden sollen, einen ungebührlich breiten Raum einnimmt, während die großen prinzipiellen Fragen, über welche in erster Linie Einigkeit herrschen müsste, in den Hintergrund treten oder gar völlig übergangen werden.
Es konnte mir hiernach nicht darauf ankommen, lediglich noch geltendes Recht zusammen zu stellen. Auf die Gefahr hin, der praktischen Brauchbarkeit der Sammlung Abbruch zu tun, habe ich vielmehr geglaubt, eine größere Anzahl älterer, längst außer Kraft gesetzter Erlasse und Verordnungen, mit aufnehmen zu sollen. Anregung dazu würde mir freilich schon die Tatsache gegeben haben, dass in den letzten Jahrzehnten das Interesse der Juden Deutschlands an der Vergangenheit ihrer Glaubensgemeinschaft in erfreulichem Masse gewachsen ist. Abgesehen von den zahlreichen Vereinen für jüdische Geschichte und Literatur, die sich ja ex professo mit dem Gegenstand befassen, gebührt das Verdienst, hier fördernd gewirkt zu haben, hauptsächlich wohl den großen Verbänden „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, „Deutsch-Israelitischer Gemeindebund“, „Verband der Deutschen Juden“ und andere, sowie den Organen der jüdischen Zeitschriften-Presse. Begreiflicherweise war es aber nicht angängig, die Kabinetts-Orders, Rescripte usw., die namentlich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zur Regelung des „Judenwesens“ in großer Anzahl erschienen sind, auch nur in annähernder Vollständigkeit mitzuteilen. Die gebotene Auswahl wird indes genügen, um an der Hand der vielfach nicht nur rechtsgeschichtlich bemerkenswerten Dokumente ein Bild von der fortschreitenden Emanzipation der Juden in Preußen zu geben und dem Buche einen bescheidenen Wert zu sichern, auch wenn jene legislatorischen Vorarbeiten zu einem erfolgreichen Ende gedeihen.
Hamm (Westf.) März 1910
MICHAELIS.
Zur Zeit des alten deutschen Reiches waren die Juden in Deutschland politisch rechtlos. Ein Niederlassungsrecht hatten nur die „Schutzjuden“ („vergeleitete Juden“), die entweder nur für ihre Person oder auch zugleich für ihre Nachkommen den „Judenschutz“, ein ursprünglich allein dem Kaiser, später allgemein den Landesherren und freie Städten zustehendes Hoheitsrecht, genossen. Die Verwaltung ihrer streng abgesonderten Gemeinden blieb den Juden völlig überlassen, von einer staatlichen Aufsicht ist nirgends die Rede. (Vergleiche im übrigen außer dem bekannten Werk von Stobbe, „Die Juden Deutschlands während des Mittelalters“)
Gierke, Otto von: Deutsches Privatrecht 1895, Band I Seite 437 ff,
§ 55. Rechtsverhältnisse der Juden.
I. Älteres Recht. Da die Juden ursprünglich als Volksfremde, und später als Ungläubige keinen Antheil am Volksrecht hatten, beruhte ihre gesammte Rechtsstellung auf einem Ausnahmerecht.
1. Judenschutz. Die Juden erlangten Rechtsfähigkeit durch ihre Aufnahme als Schutzgenossen. Der ihnen gewährte Schutz hatte nicht nur nach Zeit und Ort einen verschiedenen rechtlichen Inhalt, sondern wurde auch thatsächlich in sehr ungleichem Masse wirksam. (Die Gründe hierfür lagen weit weniger in einer Wandlung der nationalen und religiösen Gesichtspunkte, als in der Veränderung der wirthschaftlichen Zustände). Während er bis zu den Kreuzzügen leidliche Sicherheit bot, versagte er während der Judenverfolgung und behielt seitdem ein stark prekäres Gepräge, so dass die durch ihn nur suspendierte Rechtlosigkeit der Juden immer wieder hervorbrach. (Dies zeigt sich besonders darin, dass mehr und mehr Juden der Schutz nur für eine Reihe von Jahren zugesagt wurde, nach deren Ablauf sie der Willkür verfielen. Ja es kam die Anschauung auf, dass, weil der Königsschutz jedesfalls vom Könige nur für seine Lebenszeit ertheilt sei, der neu gekrönte König den Juden allenthalben im Reiche alle ihre Güter nehmen möge, „dazu ihr Leben und sie tödten bis auf eine Anzahl, der lutzel sein soll, zu einer Gedechtnus“, Urkunde von 1462)
Oberster Schutzherr der Juden war von je der König, (Schon der fränkische König scheint einen allgemeinen Judenschutz geübt zu haben, den er in den besonderen Schutzbriefen für einzelne Juden nur erhöhte) der ihnen den Königsfrieden verlieh, hierfür aber von ihnen mancherlei Abgaben bezog. Seit dem zwölften Jahrhundert steigerte sich das königliche Schutzrecht zu einem Regal, das einerseits mehr und mehr als nutzbares Recht aufgefasst und behandelt wurde, andrerseits die Abhängigkeit der Juden als eine Art von Hörigkeit erscheinen ließ. Die Juden hießen daher nun kaiserliche Kammerknechte. (Schon im Wormser Judenprivilegium von 1157 sagte Friedrich I. von allen Juden, dass sie „ad cameram nostram attineant“. Als „servi camerae nostrae“ werden sie 1236, 1262 und 1312 bezeichnet. Vergleiche Schwabenspiegel c 214: des romischen küniges kamer ze eigen.)
Gleich anderen Regalien gelangte auch das Judenregal schon im Mittelalter mehr und mehr in die Hände der Landesherren und Städte. Später galt es als selbstverständliches Stück der Landeshoheit, deren Trägern die Reichsgesetze seit dem sechzehnten Jahrhundert die Ordnung des Judenrechts vollständig überließen. Meist ergingen besondere Judenordnungen, die in den einzelnen Ländern ein sehr verschiedenes Maß von Duldung gewährten.
2. Judengemeinden. Im Mittelalter waren es genossenschaftlich verbundene Judengesamtheiten (universitates Judacorum), denen Schutz zugesagt, Privilegien ertheilt und Pflichten auferlegt wurden. Daher bildeten die örtlichen Judengemeinden nicht bloß religiöse, sondern zugleich bürgerliche und politische Verbände, die in wachsender, anscheinend zuerst selbsterstrebter, dann aufgezwungener äußerer Absonderung von der übrigen Bevölkerung als schutzhörige Körperschaften unter eigenen Vorstehern und Gerichten lebten. In neuerer Zeit büssten die Judengemeinden ihre bürgerliche und politische Bedeutung mehr und mehr ein. Die Landesherren betrachteten lediglich die von ihnen besonders aufgenommenen einzelnen Juden als ihre Schutzunterthanen. Im Zweifel galten die den Juden ertheilten Schutzbriefe nur für ihre Person, bisweilen aber wurden sie ausdrücklich auf ihre Nachkommen oder einem Theil derselben erstreckt. Die durch Schutzbriefe mit einem Niederlassungsrecht ausgestatteten Juden wurden nun als „Schutzjuden“ oder „vergleitete Juden“ (Judaei recepti) von den im Lande bloß geduldeten „unvergleiteten Juden“ unterschieden.
3. Jüdisches Recht. (Vom jüdischen Recht als solchem ist im deutschen Privatrecht nicht zu handeln). Im Mittelalter lebten die Juden unter sich nach ihrem nationalen Recht, das ihre rabbinischen Gerichte handhabten. Dagegen konnten sie sich den Christen gegenüber nur in beschränktem Umfange kraft besonderer Privilegien auf das jüdische Recht berufen. (Für die Juden galt nicht das Personalitätsprinzip. Vielmehr war ihr nationales Recht ein bloß geduldetes Recht, das der ordentliche Richter keineswegs in gleicher Weise wie germanisches Stammesrecht zu achten hatte). In neuerer Zeit wurde die Zuständigkeit der jüdischen Gerichte mehr und mehr eingeengt. (In Preußen wurde 1812, in Bayern 1813, in Hildburghausen 1814, in Holstein 1863 die Rabbinerjurisdiktion ganz aufgehoben). Mit der Unterwerfung unter die ordentlichen Landesgerichte traten die Juden im Allgemeinen unter das gemeine Recht. Doch blieb ihr nationales Recht überall für die mit Religion und Kultus zusammenhängenden Verhältnisse (Ehesachen, Eid, Sabbathsruhe) entscheidend (Preußisches Gesetz vom 11. März 1812; Hannoversches Gesetz vom 30. September 1842 § 4; Bayrisches Gesetz von 1851 Artikel 1 – 2b) und wurde zum Theil in rein jüdischen Fällen auch für familiengüterrechtliche und erbrechtliche Fragen nach wie vor als maßgebend anerkannt.
4. Sonderrecht für Juden. Im Übrigen und namentlich gegenüber den Christen galt für die Juden ein aus Ausnahmesatzungen beruhendes Sonderrecht, das ursprünglich für sie durchweg an Stelle des ihnen verschlossenen Volksrecht trat, seit ihrer Unterwerfung unter das gemeine Recht aber die Summe von Abwandlungen desselben durch privilegia favorabilia et odiosa darstellte.
a. Begünstigt waren die Juden im Mittelalter vor Allem durch das Recht des Zinsennehmens (und zwar zu sehr hohen Prozenten), das zwar gemeinrechtlich seit der allgemeinen Gestattung des zinsbaren Darlehens keine Spuren hinterließ (Die Reichsgesetze banden sie an die gleichen Zinsschranken wie Christen; Reichsprozessordnung. von 1577 Titel 20 § 6), partikularrechtlich aber in der Zulassung eines höheren Zinssatzes nachwirkte (Preußisches Landrecht I, 11 § 805 (8 Prozent)). Außerdem wurde ihnen im Mittelalter das ihrem nationalen Recht entlehnte Vorrecht zugestanden, redlich und öffentlich gekaufte oder in Pfand genommene Sachen auch dann, wenn sie geraubt oder gestohlen waren, nur gegen Ersatz des Kauf- oder Pfandschillings herauszugeben. Dieses Vorrecht hob aber die Reichsgesetzgebung auf (Reichsprozessordnung von 1548 Titel 20, 1577 Titel 20 § 2. Partikularrechtlich wurde aber das Judenrecht gemeingültiges Recht; vergleiche das Sachenrecht).
b. Zurückgesetzt waren sie vor Allem durch den Ausschluss von den politischen Rechten in Gemeinde und Staat, die Nichtzulassung zu Gilden und Zünften und folgeweise zu zahlreichen Gewerbebetrieben und die Beschränkungen ihrer Niederlassungs- und Verehelichungsfreiheit. Dazu kamen in den meisten Ländern sehr eingreifende Beschränkungen im Erwerbe von Grundeigenthum. Reichsrechtlich war für solche Verträge zwischen Juden und Christen, bei denen eine wucherische Übervortheilung als möglich erschien, obrigkeitliche Errichtung vorgeschrieben, auch wenn die Abtretung jüdischer Forderungen gegen Christen an Christen verboten. Eine verbreitete Praxis versagte ferner den jüdischen Ehefrauen die Dotalprivilegien. Vielfach wurde endlich das Zeugnis von Juden gegen Christen als unglaubwürdig behandelt (Hierauf beruhte die in manchen Gesetzen angeordnete geringe Beweiskraft ihrer Handelsbücher).
II. Heutiges Recht. Im Laufe unseres Jahrhunderts wurde die Rechtsstellung der Juden grundsätzlich umgestaltet. Die deutsche Bundesakte verhieß ein späteres Bundesgesetz, das ihre Gleichstellung mit den Christen durchführen sollte, jedoch niemals ergangen ist. (Deutsche Bundesakte Artikel 16. Bis dahin gewährleistete der Bund den Juden nur die ihnen „von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte“).In den meisten deutschen Staaten aber wurden die Rechtsverhältnisse der Juden durch Landesgesetze neu geordnet. Dabei wurde der alte Rechtsboden schrittweise verlassen. Die letzten Reste der früheren Ungleichheit tilgte die Reichsgesetzgebung aus.
1. Aus Schutzgenossen wurden die Juden durch Aufnahme in das Bürgerrecht von Gemeinde und Staat in Vollgenossen verwandelt (So in Preußen schon durch das Edikt vom 11. März 1812). Wenn hiermit alle in ihrer Volksfremdheit wurzelnden Minderungen der Rechtsfähigkeit wegfielen, so wurden freilich nach wie vor manche Beschränkungen aufrechterhalten, die aus ihrer Religionsstellung außerhalb des Christenthums hergeleitet wurden. Gerade diese aber sind durch das neueste Recht grundsätzlich beseitigt.
2. Die Judengemeinden bestehen als bloße Religionsgenossenschaften (Synagogen- gemeinden) fort. Als solche genießen sie die Rechte anerkannter Körperschaften mit öffentlicher Religionsübung, jedoch ohne die besonderen Vorrechte der christlichen Kirchen.
3. Das jüdische Recht findet auf dem Gebiete des Privatrechts nur noch in seltenen Fällen hinsichtlich der ihm durch Partikularrecht unterstellten Verhältnisse Anwendung (Wo das Partikularrecht schweigt, kann im Allgemeinen das jüdische Privatrecht nicht als anwendbar gelten. Stets ist eine Unterwerfung unter das jüdische Recht durch Vereinbahrung möglich. – Wo der Richter jüdisches Recht anzuwenden hat, gelten die Regeln über die Anwendung von fremden Recht; in der Hauptsache ist er auf die Gutachten von Rabbinern angewiesen). Nur im persönlichen Eherecht ist es für die nicht reichsrechtlich entschiedenen Fragen und daher namentlich für die Ehescheidungsgründe überall da maßgebend geblieben, wo seine Geltung nicht landesrechtlich beseitigt ist.
4. Die Kraft des Sonderrechts für Juden vormals begründeten Bevorzugungen und Zurücksetzungen sind sämtlich aufgehoben; die jüdische Religion kann nur noch insoweit auf das Privatrecht einwirken, als das religiöse Bekenntnis überhaupt privatrechtliche Bedeutung hat.
Stobbe, Otto: Deutsches Privatrecht 1882, Band I Seite 343 ff, § 46
§ 46. Insbesondere die Rechtsverhältnisse der Juden
I. Die Juden, welche nachweisbar schon im 4. Jahrhundert in einzelnen Theilen Deutschlands, besonders am Rhein wohnten und sich in späteren Jahrhunderten auch über die östlichen Gegenden verbreiteten, wurden zunächst von den deutschen Königen und Landesherrn geduldet und genossen einer weiten Rechtsfähigkeit. Als während der Kreuzzüge sich der religiöse Fanatismus in blutigen Verfolgungen Luft machte, wandten sie sich an die deutschen Kaiser und wurden von denselben in besonderen Schutz genommen. Demzufolge befanden sich seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts alle deutschen Juden in besonderer kaiserlicher Unterthänigkeit und waren dem Kaiser jetzt ebenso wie andere Schutzpflichtige zu Steuern verpflichtet; wegen dieser Steuerpflicht an die kaiserliche Kammer hießen sie kaiserliche Kammerknechte (servi camerae imperialis). Ebenso wie die andern Regalien wurde das Schutzrecht und das damit verbundene Besteuerungsrecht von den Königen an Landesherrn und Stadtobrigkeiten verliehen; das Judenregal wurde zu einem Verkehrsobject.
Trotz des sogenannten Schutzes wurden die Juden je länger je mehr rechtlos; denn Kaiser und Landesherrn und Städte pflegten ihnen regelmäßig nur eine bestimmte Reihe von Jahren Schutz und Niederlassungsrecht zu gewähren, nach deren Ablauf sie der willkürlichen Behandlung und der Austreibung aus dem Lande ausgesetzt sei sollten.
Freilich räumte man ihnen das Privileg ein, Darlehen gegen Zinsen und zwar gegen sehr hohe Zinsen geben zu dürfen; denn da das vom kanonischen Recht verbotene zinsbare Darlehen nicht zu umgehen war, ergriff man den Ausweg, den Juden, welche nicht unter den Geboten des kanonischen Rechts standen, den Zinswucher zu gestatten; und andererseits vermehrten derartige Geschäfte den Wohlstand und Reichthum der Juden und damit zugleich ihre Steuerkraft. Aber Kaiser, Landesherrn, Städte und Pöbel hielten sich auch für berechtigt ihnen ihr Eigenthum wieder zu nehmen, und sie nicht bloß, wenn die Jahre des Schutzes vorüber waren, sondern jeder Zeit, aus ihrem Domicil oder aus dem Lande zu vertreiben. Solche Vertreibungen der Juden haben besonders seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sehr oft stattgefunden und in mancher Stadt durften sie bis in unsere Zeiten hinein keinen dauernden Aufenthalt nehmen.
Eine günstigere Stellung trat für sie seit dem Anfang dieses Jahrhunderts, besonders zu Folge der französischen Herrschaft ein. Da aber bei der Restauration nicht alle Staaten die während der französischen Occupation erlassenen Emancipationsbestimmungen weiter gelten lassen wollten, wurde in der deutschen Bundesacte Art. 16 bestimmt, dass bis zu einem allgemeinen Bundesgesetz über die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens ihnen die „von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte erhalten“ bleiben sollen. Man wählte das Wort von und nicht in, damit die einzelnen Staaten wieder zu dem vor der französischen Herrschaft bestehenden Rechtszustand zurückkehren dürften; und einige Staaten haben von dieser Befugnis auch Gebrauch gemacht.
Unter großer Mannigfaltigkeit der partikulären Bestimmungen räumte darauf die Gesetzgebung den Juden in immer erweitertem Masse die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ein. (Schon im Jahre 1812 wurden sie in Preußen in bürgerlicher Beziehung den sonstigen Unterthanen gleich gestellt. – In Würtemberg ergingen privatrechtliche Beschränkungen der Schacherjuden durch Gesetz von 1828; aber das Gesetz vom 13. August 1864 unterwarf sie in allen bürgerlichen Verhältnissen den gleichen Gesetzen, welche für die übrigen Staatsangehörigen maßgebend sind; sie genießen die gleichen Rechte und haben die gleichen Pflichten und Leistungen zu erfüllen. – In Kurhessen blieben im Jahre 1833 noch einzelne, aber bloß das öffentliche Recht betreffende Beschränkungen für diejenigen Juden zurück, welche Schacherhandel treiben. Wenn auch die Kurhessische Verfassungs- - Urkunde von 1852 den Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte vom christlichen Glaubensbekenntnis abhängig machte, so wurde dadurch doch die Gleichstellung nicht alterniert, welche sie im Jahre 1833 erhielt. – Über Sachsen–Altenburg schreibt Hesse im Jahre 1841: „Juden können kein Heimathsrecht im hiesigen Lande erwerben und es ist ihnen nicht verstattet, sich häuslich oder sonst im Herzogthum niederzulassen oder daselbst zu wohnen, ingleichen ist ihnen der Besuch von Jahrmärkten und das Haussieren verboten“. – In Altenburg wurde im Jahre 1818 der Leibzoll aufgehoben; aber sie sollen bei ihren Reisen das doppelte Geleitgeld zahlen. – In Mecklenburg wurde das Schutzgeld im Jahre 1846 aufgehoben. - Vergleiche außerdem Meininger Patent vom 5. Januar 1811; Oldenburger Verordnung vom 14. August 1827; Gothaische Verordnung vom 6. Juli 1843; Hamburger Verordnung vom 23. Februar 1849; Bairisches Gesetz vom 29. Juni 1851; Württemberger Gesetz vom 13. August 1864).
Aber das in der Bundesacte in Aussicht gestellte Gesetz ist niemals erlassen worden. Dagegen haben die Landesgesetze und besonders die Verfassungsurkunden seit 1848 den Forderungen der Humanität und der Gleichberechtigung immer mehr entsprochen, und indem sie den Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Recht für unabhängig von dem religiösen Bekenntnis erklärten, die Juden den christlichen Unterthanen fast überall gleich gestellt. Durch das Reichsgesetz vom 3. Juli 1869 sind alle noch bestehenden Beschränkungen ihrer bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben worden.
II. Da die Juden im deutschen Staat als Fremde galten. standen sie in alter Zeit, nach dem Princip der Persönlichkeit des Rechts, unter dem jüdischen Recht und blieben demselben auch unterworfen, nachdem die Territorialität des Rechts die Herrschaft erlangt hatte. Der deutsche Staat, welcher sich um sie nur in Rücksicht auf ihre Handelsgeschäfte und ihre finanzielle Bedeutung kümmerte, erließ für sie in privatrechtlicher Beziehung nur einzelne Normen und gestattete ihnen im übrigen den Genuss ihres auf der mosaischen Gesetzgebung beruhenden talmudischen Rechts. So galt für sie theils national-jüdisches Recht, an welchem sie um so mehr festhielten, als es zugleich als religiöses Gesetz erschien, theils auf besonderen Privilegien und Gesetzen beruhendes Sonderrecht.
Bei ihren Streitigkeiten unter einander entschied das Gericht der Rabbiner; (Nach Codex Theod. II 1 c 10 waren sie ihren Rabbinern nicht bei eigentlichen Rechtsstreitigkeiten, wohl aber in causis, quae ad superstitionem eorum pertiment, unterworfen. Durch Auslassung eines non erhielt die Verordnung im Justinianischen Codex den Sinn, dass sie in his causis, quae tam ad supersitionem eorum quam ad forum et leges ac jura pertinent, die ordentlichen Gerichte angehen und dem Landesrecht, dem römischen Recht, unterworfen sein sollen). Auch waren hie und da im Mittelalter die Landesherren geneigt, deren Gerichtsbarkeit selbst bei Streitigkeiten zwischen Juden und Christen gelten zu lassen. Später wurde ihre Competenz regelmäßig eingeengt und partikularechtlich sehr verschieden normiert, (Während nach dem Privileg für die hannöversche Judenschaft vom Jahre 1716 die Rabbiner entscheiden „in Geldsachen, Handel und Wandel“ und in sonstigen Streitigkeiten, wurden schon 1737 Geld- und Handelssachen, Klagen wegen Immobilien, Injurien usw. ausgenommen und hatte der Kläger die Wahl, ob er die Gegenpartei vor dem ordentlichen Richter oder dem Rabbiner belangen will. – In Kurhessen wurde die ausschließliche Gerichtsbarkeit, welche die Rabbiner in Ceremonien- und Personalsachen gehabt hatten, im Jahre 1816 und 1821 aufgehoben; in Fulda wurde die Rabbiner – Gerichtsbarkeit schon 1788 aufgehoben. – Württemberger Gesetz vom 13. August 1864 Art. 3 „Die Gerichtsbarkeit in Ehesachen der Israeliten steht dem ehegerichtlichen Senate des Obertribunals zu, welcher bei seinen Entscheidungen die Religionsgrundsätze und Ritualgesetze der Juden zu berücksichtigen hat. An die Stelle der evangelischen geistlichen Mitglieder tritt für diese Fälle ein israelischer Gottesgelehrter.“) und in vielen Staaten ganz aufgehoben (In Preußen nach dem Gesetz von 1812, in Baiern Edict von 1813 § 30, in Hildburghausen 1814, in Holstein durch Gesetz vom 14. Juli 1863 § 7). Die Reichsjustizgesetzgebung hat die Rabbinerjurisdiktion, wo sie etwa noch bestand, allgemein beseitigt.
Indessen blieb das jüdische Recht auch bis in die neuere Zeit hinein für solche Rechtsinstitute in Geltung, welche von religiösen Normen beherrscht oder anhängig sind (Preußisches Gesetz von 1812: nur „bei solchen Handlungen und Geschäften, welche wegen der Verschiedenheit der Religionsbegriffe und des Cultus an besondere gesetzliche Bestimmungen und Formen nothwendig gebunden sind), und es ist der christliche Richter bei Unkenntnis des jüdischen Rechts auf Bescheinigungen und Gutachten der Rabbiner angewiesen. In welchem Umfange aber das Privatrecht der Juden von den nationalen Grundsätzen des Pentateuch und Talmud noch jetzt beherrscht werde, lässt sich nicht allgemein, sondern nur für Partikularrechte beantworten.
Jedenfalls kann das jüdische Recht nur gelten, wenn es sich um Rechtsverhältnisse unter Juden handelt; seine Grundsätze über Familien- und Erbrecht dürfen also sicherlich nicht Eltern ihren Kindern gegenüber geltend machen, welche zum Christenthum übergegangen sind.
Die weiteste Anwendung erhielt das jüdische Recht im Eherecht. (Das Oestereichische Gesetzbuch § 123 – 136 enthält im Anschluss an die talmudischen Vorschriften ein besonders Eherecht für die Juden). Die Eheschließung der Juden sollte nach den jüdischen Formen und unter Beobachtung nicht bloß der im Partikularrecht, sondern auch der im jüdischen Recht enthaltenen Vorschriften über Ehehindernisse erfolgen. (Bairisches Gesetz von 1851 Art. 2: Lippisches Gesetz vom 30. Juni 1850 (hinsichtlich der verbotenen Verwandtschaftsgrade und der Trauungs-Ceremonien seine die jüdischen Vorschriften zu beobachten); Holsteinische Gesetz vom 14. Juli 1863 § 8 u.s.w.). Nachdem aber auch in dieser Beziehung neuerdings manche Staaten das nationaljüdische Recht aufgehoben, für die Juden die Civilehe eingeführt und die Ehehindernisse auf die im Landesrecht geltenden beschränkt hatten, ist eine gemeinrechtliche Gleichstellung mit den Christen durch das Reichgesetz vom 6. Februar 1875 erfolgt, welches eine einheitliche Form für die Eheschließung vor dem Standesamt und gleichmäßige Normen in Betreff der Ehehindernisse aufstellt.
Dagegen bestehen hinsichtlich der Ehescheidung Rechtsverschiedenheiten; einzelne Staaten erkennen noch das jüdische Ehescheidungsrecht an (z.B. Hannoversche Gesetz von 1842 § 4 und Bairisches Gesetz von 1851 Art. 2, Holsteinische Gesetz vom 14. Juli 1863), während in den meisten anderen nur die staatlichen Grundsätze zur Anwendung kommen können. Das letztere ist auch überall anzunehmen, wo es an besonderen Normen fehlt. Denn wenn auch die Ehe von religiösen Ansichten beherrscht ist, so setzt doch der Staat die Gründe der Ehescheidung regelmäßig für alle seine Unterthanen fest, und kann die Zufertigung des Ehescheidungsbriefes nicht genügen, um eine jüdische Ehe aufzulösen. Noch allgemeiner ist die Ausschließung des jüdischen Rechtes im ehelichen Güterrecht (z.B. Bairisches Gesetz von 1851 – Ganz und gar wurde die Beobachtung des jüdischen Rechts in allen ehelichen Verhältnissen ausgeschlossen von der älteren hannöverschen Praxis und durch das Regierungsschreiben von 1738).
Das jüdische Intestraterbrecht enthält manche abweichende Normen, z.B. dass der männliche Erstgeborene eine doppelte Erbportion und dass Töchter bei Concurrenz mit Söhnen nur Aussteuer und Alimente erhalten; auch derartigen Grundsätzen gegenüber verhielt sich die Landesgesetzgebung theils ablehnend, theils anerkennend (Aufhebung des jüdischen Erbrechts z.B. in dem angefangenen Bairischen Gesetz Art. 1. Die bisher in Hamburg anerkannt gewesenen Grundsätze wurden durch Gesetz vom 1. Juni 1864, betr. die Aufhebung des mosaischen Rechts für Matrimonial, Testaments- und Erbschaftssachen der hiesigen Israeliten, aufgehoben).
Diese Anführungen beweisen, dass eine allgemeine Norm über die Anwendbarkeit des jüdischen Rechts nicht aufgestellt werden kann. Wo das Partikularrecht keine Vorschriften enthält, kann der Jude in Folge seiner Gleichstellung mit dem Christen die Anwendung seines nationalen Rechts im Privatrecht nicht mehr beanspruchen (Allgemeine Ausschließung des jüdischen Rechts im Privatrecht nach dem Preußischen Gesetz von 1812, dem Holsteinischen Gesetz vom 14. Juli 1863 § 5).
III. Sehr allgemein war früher den Juden der Erwerb von Grundbesitz verboten; theils wollte man sie von den auf den Grundbesitz basierten politischen rechten ausschließen, theils ihrer Concurrenz beim Ankauf von Grundstücken begegnen. Doch galt dies Verbot während des Mittelalters nicht ausnahmslos. In den Städten, wo man ihnen den Aufenthalt gestattete, waren sie gewöhnlich Eigenthümer der von ihnen bewohnten Häuser, welche regelmäßig in demselben Viertel oder derselben Strasse lagen (Judenviertel, Judengasse); sie sollten nur keine weiteren Grundstücke erwerben. In einzelnen wenigen Gegenden besaßen sie auch Landgüter; die Regel freilich war es, dass sie vom Besitz derselben ausgeschlossen waren, und dass, falls ihnen verpfändete Grundstücke verfielen, sie dieselben binnen kurzer Zeit weiter veräußern mussten.
Derartige mannigfach normierte Beschränkungen haben sich bis in unser Jahrhundert erhalten: sie sollen Grundbesitz nur mit landesherrlicher Genehmigung erwerben (nach einem Braunschweiger Rescript von 1832); sie dürfen wohl ein Haus besitzen, aber ein weiteres nur mit landesherrlicher Erlaubnis erwerben (Kurhessische Verordnung von 1816; Judengesetz von Frankfurt am Main vom 1. September 1824 u.s.w.); sie sollen keine anderen Häuser haben, als welche sie selbst bewohnen (Holsteinische Bestimmung von 1768, aufgehoben 1811; Hiddenburghausen’sche Verordnung von 1814), oder nur an dem Ort, wo sie ihr Domicil haben; ein von ihnen erworbenes Haus sollen sie, Erbtheilungsfälle ausgenommen, binnen längerer Zeit (10 Jahre) nicht veräußern (Sächsisches Gesetz von 1838). Wenn ihnen im Concurse oder bei Subhastrationen Häuser zugeschlagen werden, sollen sie dieselben in bestimmter Frist an Christen veräußern (Fuldaische Judenordnung von 1751; Sächsische Gesetze von 1828 und 1840); an manchen Orten waren sie durchaus oder für längere Zeit dem Retractrecht von Christen ausgesetzt.
Der Erwerb von Landgütern war ihnen in manchen Staaten ganz verboten (Holsteinsche Verordnung von 1818; Sächsisches Gesetz von 1838), oder nur gestattet, wenn sie dieselben selbst bebauen wollten (Württemberger Rescripte von 1806, 1807, 1818; das Gesetz von 1828 verlangt, dass sie das erworbene Grundstück binnen 3 Jahren nicht veräußern, und es wurde dies noch 1844 von neuem eingeschärft. – Die hannöverschen Beschränkungen, noch aus dem Jahre 1847, wurden 1848 durch die Verfassungs-Urkunde aufgehoben), und unter der Voraussetzung, dass mit ihnen keine politischen oder grundherrlichen Rechte verbunden sind. Im Zusammenhange damit war es ihnen auch vielfach untersagt, sich Grundstücke verpfänden zu lassen (Frankfurter Reform II. 12 § 8, II. 18 § 6, aufgehoben durch Gesetz vom 1. September 1824. – Auch waren ihnen antichretische Verträge verboten). In Österreich wurden durch Verordnung vom Jahre 1853 die Beschränkungen, welche in den einzelnen Provinzen bis zum 1. Januar 1848 bestanden hatten, wieder eingeführt; nur die jetzigen Eigenthümer blieben im Besitz, aber ihre Universalsuccessoren bereits sollten die Güter wieder veräußern. Die ausnahmslos lautende Bestimmung der deutschen Bundesacte (Art. 18), dass Unterthanen eines deutschen Staates auch in jedem andern ohne weiteres Grundeigenthum erwerben dürften, wurde auf die fremden Juden meistens nicht bezogen; - kurzum in den meisten Staaten bestanden Beschränkungen in sehr verschiedenem Umfange.
In neuerer Zeit ist die Zurücksetzung der Juden in dieser Beziehung überall beseitigt und haben sie in Folge ihrer rechtlichen Gleichstellung mit den Christen auch das Recht des Grundbesitzerwerbs (In manchen Staaten auch schon vor den neueren Verfassungs-Urkunden, so in Preußen durch das Gesetz von 1812; jedoch bestanden im Großherzogtum Posen und den nach 1812 hinzu erworbenen Landestheilen manche Einschränkungen, welche erst durch die Verfassungs-Urkunde aufgehoben wurden; Vergleiche weiter über Kurhessen 1833, Hamburg 1842, Schleswig-Holstein 1854). In Österreich fielen die Beschränkungen durch das Gesetz vom 18. Februar 1860 und durch das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 Art. 6 und 14. Für das deutsche Reich bestimmt die Verfassungsurkunde Art. 3, dass der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaate zur Erwerbung von Grundstücken zugelassen ist, und das Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867 § 1, dass „keinem Bundesangehörigen um des Glaubensbekenntnisses willen … der Erwerb von Grundeigenthum verweigert werden darf.“
IV. Während das kanonische Recht und entsprechend auch die staatliche Gesetzgebung während des Mittelalters es den Christen untersagte. Geld gegen Zinsen auszuleihen, war dies Rechtsgeschäft – abgesehen von vorübergehenden und einflusslosen Verboten – den Juden nicht bloß erlaubt, sondern ihnen auch gestattet, sehr hohe Zinsen zu nehmen (Die mittelalterlichen Gesetze schwankten zwischen 21 2/3 und 86 2/3 Procent). Nachdem die Reichspolizeiordnung von 1530 ihnen zeitweise alles Zinsennehmen (Wucher) untersagt hatte (Titel 27, Sammlung der Reichsabschiede II Seite 342), erlaubte es ihnen wieder die Reichspolizeiordnung von 1577, jedoch mit der Beschränkung auf 5 Procent pro anno und mit der salvatorischen Clausel, dass die Landesherrn besondere Verordnungen erlassen dürften (Titel 20 § 6, 7, Sammlung der Reichsabschiede III Seite 390). Demgemäß sind in vielen Staaten, nachdem auch den Christen das zinsbare Darlehn nicht mehr untersagt war, besondere Gesetze ergangen, welche den Juden einen höheren Procentsatz als den Christen gewähren In Fulda 1615 12%, 1623 5%, 1671 6 resp. 8%; 1751 wurde es ihnen erlaubt 6 Procent zu nehmen, doch sollte bei Klagen nur auf 5 Procent erkannt werden. – Das Preußische Landrecht I 11 § 805, 806, nach welchem der allgemeine Zinsfuss 5 Procent ist, gestattet Juden 8 Procent, Juden mit den Rechten christlicher Kaufleute, ebenso wie anderen Kaufleuten, nur 6 Procent. – Nach der Kurhessischen Verordnung von 1800 durften sie bei Darlehen unter 20 Thalern 8 Procent nehmen. Derartige Privilegien haben sie in Folge der privatrechtlichen Gleichstellung mit den Christen verloren (Die Preußische Declaration vom 20. April 1813 erklärt, dass sie ebenso wie Christen nur 5, wenn sie Kaufleute sind, 6 Procent nehmen dürfen; vergleiche auch das Kurhessische Gesetz von 1833). Gegenwärtig besteht nirgends mehr ein Sonderrecht in dieser Beziehung, da die Zinsbeschränkungen durch Reichsgesetz vom 14. November 1867 aufgehoben sind und das Reichsgesetz betreffend den Wucher vom 24. Mai 1880 keine Ausnahmen wegen der Juden macht.
V. Entsprechend dem national-jüdischen Recht hatten ihnen Kaiser und Landesherrn während des Mittelalters vielfach das Privileg ertheilt, dass sie die ihnen verpfändeten oder verkauften Mobilien, falls sie gestohlen oder geraubt waren, dem Eigenthümer nur dann herauszugeben hätten, wenn er ihnen Ersatz für ihr Darlehen oder den von ihnen gezahlten Kaufpreis leistete (Zuerst im Privileg Heinrich’s IV. a) 1090 für die Juden Speier’s: Si autem res furtiva apud eos inventa fuerit, si dixerit judeus se emisse, juramento probet secundum legem suam, quanti emerit, et tantumdem recipiat, et sic rem ei, cujus erat, restituat) Dies Vorrecht wurde schon durch die Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts aufgehoben (Reichspolizei-Ordnung von 1548 Titel 20. von 1577 XX. § 2 (Reichsabschiede II Seite 599; III Seite 390)) oder verlor dadurch den Charakter eines Spezialrechtes, dass der betreffende Rechtssatz partikularrechtlich allgemeine Geltung erhielt.
VI. Nach dem neueren Recht gehört die Vorschrift an, dass sich die jüdischen Kaufleute bei der Führung der Handelsbücher und bei den übrigen erforderlichen Aufzeichnungen nicht der hebräischen, sondern einer lebenden Sprache und der Schriftzeichen einer solchen bedienen sollen Reichspolizei-Ordnung von 1577 XX. § 3 (Reichsabschiede III Seite 390), Preußisches Landrecht II 8 § 590, Hannöversches Gesetz vom 30. September 1842 § 2. Jetzt Handelsgesetzbuch Art. 32 al. 1). Dagegen sind die älteren Bestimmungen, wonach auch die deutsch geschriebenen Handlungsbücher der Juden nicht gleiche Glaubwürdigkeit wie die der Christen haben sollen (z.B. Hannöversche Verordnung von 1720; Hessische Judenordnung von 1739 § 24. – Die Gleichstellung besteht bereits nach der Fuldaischen Juden – Ordnung von 1751), durch die Gleichstellung der Juden mit den Christen (So in Rücksicht auf die Juden, welche die Rechte christlicher Kaufleute verliehen sind, Preußisches Landrecht I.I8 § 585 ff; Hessisches Gesetz von 1816; Hannöversches Gesetz vom 15. April 1847§ 3(mit Ausnahme der Juden, welche Nothhandel treiben) und durch das der Civilprozessordnung angehörige Prinzip der freien Beweiswürdigung beseitigt.
VII. Ursprünglich waren die Juden in ihrem Gewerbe wesentlich auf Geldgeschäfte und den Kleinhandel angewiesen und von zahlreichen Handelsgeschäften und Handelsartikeln, besonders von solchen ausgeschlossen, welche nur den Mitgliedern der Kaufmannsinnungen gestattet waren. Allmählich fielen diese Beschränkungen, und wurden ihnen nicht nur der Betreib zünftiger Handwerke gestattet, sondern auch der Eintritte in die Zünfte eröffnet (Nach der Schleswig-Holstein’schen Verordnung von 1824 und 1826 können sie als Lehrlinge eingeschrieben, aber nicht zu Gesellen und Meistern aufgenommen werden; dagegen dürfen sie theilweise das Handwerk als unzünftige Meister betreiben. Zunftfähig werden sie in Württemberg 1809; in Kurhessen 1816; in Braunschweig 1821. – Trotz der Zunftfähigkeit bestanden bis in die neuere Zeit noch einzelne Beschränkungen in Sachsen, in Hannover (Gesetz vom 30. September 1842 § 64, 65), in Württemberg nach einem Gesetz von 1828 in Bezug auf den Erwerb von Realgerechtigkeiten). Alle Benachtheiligungen sind durch die Gesetzgebung des deutschen Reichs gefallen (Die deutsche Gewerbeordnung erwähnt nirgends der Juden).
VIII. Um die Christen vor Betrug und wucherischer Bedrückung zu schützen, sollten nach der Vorschrift des Augsburger Reichsabschiedes von 1551 (§ 79, Reichsabschiede II Seite 622) die Juden Verschreibungen der Christen vor deren ordentlicher Obrigkeit aufnehmen lassen und sonstige Schuldurkunden der Christen nichtig sein. Das Gesetz handelt nur von solchen Verträgen, welche an sich schon der Schriftlichkeit bedürfen, um beweiskräftig oder gültig zu sein. Da diese Bestimmung in der Reichspolizeiordnung von 1577 nicht wiederkehrt, nahm man schon im vorigen Jahrhundert an, dass sie gemeinrechtlich aufgehoben sei; und das Reichskammergericht wollte sie nicht auf personae illustres als Schuldner anwenden (Man rechtfertigte dies dadurch, dass das Reichsgesetz nur immer von armen Christen spräche; - Die Ansbacher Judenordnung von 1759 § 2 sagt: „einfältiger christlicher Unterthan, er sei Bauer oder Burger oder andern Standes“). Anderwärts hielt man an der Vorschrift bis in die neuere Zeit hinein fest (Coburger Verordnung von 1815, dass alle außergerichtlichen Urkunden über Verträge jeder Art zwischen Juden und Christen ohne Beweiskraft sein sollen. – Codex Maximilian. Bavar. civ. IV. 1 § 15 fordert gerichtliche Abschließung für alle Contracte und Handlungen, sie mögen Namen haben, wie sie wollen. – Vergleiche ferner die Bestimmungen von Meinigen 1811, Hildburghausen 1814, Weimar 1823. – Für alle Verträge über 20 Gulden Baireuther Landesconstitution von 1722 I. § 8, über 30 Gulden Baireuther Verordnung von 1748, über 10 Gulden Statuten von Dinkelsbühl 1738 XVI. § 6. – Die Baireuther Verordnung von 1753 declariert die obigen Bestimmungen dahin, dass sie nur auf die „mit Burgers- und Bauers-Leuten über Vieh und andere Kleinigkeiten treffenden Kauff-, Tausch-, Vorlehen und anderen Contracten“ sich beziehen, dagegen nicht auf die „mit Wechsel negocirenden Juden, welche mit Kaufleuten und andern honoratioribus contrabiren“. Aufgehoben wurden jene Beschränkungen 1754, aber 1775 wieder zum Theil neu eingeführt. – Nach der Schwarzenbergischen Judenordnung von 1792 § 3 sollen alle Darlehen und Warenforderungen der Juden, welche die Summe von 16 Gulden betragen, protokolliert werden) und ließ nur einige Ausnahmen zu, indem sie sich nicht auf Verträge der Honoratioren, auf Verträge des den Juden freigegebenen Gewerbes u.s.w. beziehen solle An manchen Orten wurde sie ausdrücklich aufgehoben, In Waldeck 1830, Hannover 1847, in Kurhessen 1833, mit Bezug auf ausländische Juden erst 1840). Gegenwärtig ist die Bestimmung unpraktisch, weil sie der Gleichberechtigung aller Confessionen widerspricht.
IX. Aus dem Gesichtspunkt des römischen Verbots der cessio in potentiorem untersagen die Reichsgesetze den Juden, ihre Forderungen gegen Christen an andere Christen zu cediren und die Verschreibung auf den Käufer der Forderung stellen zu lassen. Bei Übertretung dieses Verbots wird dem Gläubiger der Verlust der Forderung, dem Notar oder sonstigen Beamten, welcher die Cessionsurkunde anfertigt, der Verlust seines Amts, resp. Gefängnisstrafe angedroht (Reichsabschied von 1551 § 78-80, Reichs-Polizei-Ordnung von 1577 XX. § 4 (Reichsabschiede II. Seite 622, III. Seite 390) – Vergleiche auch schon Privileg Friedrich III von 1440 für die Stadt Radkersburg (Wiener Regesten zur Geschichte der Juden Seite 78 Nr. 4)). Diese auch in die Partikularrechte aufgenommenen Bestimmungen (z.B. Kurhessisches Gesetz von 1749; Württemberger Rescript von 1748; Cod. Maxim. Bavar. II. 3 § 8 Nro.3; DinkelsbühlerPolizei-Ordnung XII. § 2) galten aber nur für wirkliche Cessionen, nicht für Wechsel-Indossamente oder Delegationen, bei welchen der Schuldner selbst einwilligt. Die Praxis wandte außerdem das Verbot nicht auf die im Lande aufgenommenen (vergeleiteten) Juden an, weil sie ohne die Leichtigkeit der Cessionen keine Handel treiben könnten. Auch erklärte man die Cessionen für gültig, falls sie gerichtlich erfolgt wären (Sächsisches Decisiv-Befehl vom 5. November 1715 (Codex Augusteus I. 1189)), oder es sich um eine in das Hypothekenbuch eingetragene Forderung handelte (Württemberger Gesetz von 1825; Baierisches Hypotheken Gesetz § 53), oder der debitor cessus eine persona honoratior wäre (Württemberger Declaration von 1815). Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts haben viele Gesetze das Verbot ganz ausdrücklich aufgehoben (Baireuther Verordnung von 1787; Preußisches Landrecht I. 11 § 411; Württemberg 1828; Waldeck 1830; Kurhessen 1833; Meiningen 1844; Hannover Gesetz vom 15. April 1847 § 1 u.s.w.) und es kann heute zum Theil nirgends mehr zur Anwendung kommen, da die bürgerliche Gleichstellung der Juden ausgesprochen ist.
X. Partikularrechtlich war es den Juden verboten, sich ohne obrigkeitliche Genehmigung zu verheirathen (Nach der Meininger Juden-Ordnung von 1811 durfte sich in der Regel nur ein Sohn aus jeder Familie verheirathet; die übrigen würden die landesherrliche Erlaubnis erhalten, wenn sie sich Künsten und Wissenschaften widmen, Profession oder Handwerk erlernen, Ackerbau oder Taglohn treiben und sich über ihre Geschicklichkeit oder Arbeitsfähigkeit legitimieren können. Ähnliche Beschränkungen galten nach der Weimar’schen Juden-Ordnung von 1823; die obrigkeitliche Erlaubnis forderte das Württembergische Judengesetz von 1828; bis 1833 waren die Heirathen der Schacherhändler in Kurhessen verboten). Durch Reichsgesetz vom 4. Mai 1868 (Gesetz vom 4. Mai 1868 § 2 (Gesetzsammlung Seite 149): „Die polizeilichen Beschränkungen der Befugnis zur Eheschließung, welche in Ansehung der Ehen zwischen Juden …. bestehen, werden aufgehoben“).ist diese Beschränkung allgemein beseitigt (Das Reichsgesetz von 1868 ist freilich in Elsass-Lothringen und in Baiern nicht eingeführt worden; aber auch hier besteht keine derartige Beschränkung und kann auch wegen des Reichsgesetzes vom 3. Juli 1869 nicht eingeführt werden. Über die in Baiern geltenden Grundsätze über die Verehelichung vergleiche Bairisches Verfassungsrecht § 36).
XI. Die Bestimmung Justinian’s (Novelle 109), dass Ehefrauen, welche sich in Häresie von dem wahren Christenthum getrennt haben, der Dotalprivilegien entbehren, hat eine alte und weit verbreitete Praxis bis in die neuere Zeit hinein auch auf die jüdischen Ehefrauen ausgedehnt; anderwärts gewährte man ihnen die Dotalprivilegien, weil die Jüdinnen von Justinian weder genannt noch gemeint seien, und andererseits eine solche Benachtheiligung in neuerer Zeit nicht der privatrechtlichen Gleichstellung entspreche. Seit dem Reichsgesetz vom 3. Juli 1869, welches alle Beschränkungen der bürgerlichen Rechte aufhebt, können den jüdischen Ehefrauen die Privilegien nirgends mehr verweigert werden (Gelegentlich erwähne ich noch die eigentlich nicht in das Privatrecht gehörige Frage, ob Juden Doctores juris werden dürfen. Da wo die Facultätsstatuten das Erfordernis des christlichen Glaubens haben, bedarf es einer neuen statutarischen Bestimmung, weil es nicht anzunehmen ist, dass jene speciellen Normen durch die allgemeine bürgerliche Gleichstellung schon an sich beseitigt sind. – Alle allgemeinen Gründe aber, welche man dafür aufstellt, dass Juden nicht Doctoris juris werden dürften, sind unhaltbar: sowohl der, dass sie den gebräuchlichen Doctoreid nicht leisten könnten, - denn das Eidesformular kann in Rücksicht auf die Juden abgeändert werden, als auch, dass sie nicht Doctores juris canonici werden könnten. Denn der Titel eines Doctor juris civilis et canonici oder juris utriusque entspricht überhaupt nicht mehr der Gegenwart und ist eine veraltete Reminicenz aus der Zeit, in welcher es nur eine Wissenschaft des jus civile und des jus canonicum gab; keine Facultät begnügt sich damit, die Kenntnisse des Candidaten bloß im jus civile und canonicum zu prüfen. Auch ist der Doctorwürde des kanonischen Rechts keine kirchliche Beziehung beigemischt; sie ist vielmehr eine rein wissenschaftliche Würde, welche das Anerkenntnis wissenschaftlicher Kenntnisse in sich schließt. Ist man entgegen gesetzter Ansicht, so darf man consequent auch keinen Evangelischen zum Doctor juris canonici machen, da auch er alle Sätze des kanonischen Rechts zu vertreten im Stande ist. – Ein haltloser Behelf ist es, Juden allein zu Doctores juris civilis zu creieren).
Eichhorn, Carl Friedrich: Deutsche Rechtsgeschichte 1829/1845, §§ 80; 81;und 82
In Rücksicht der Juden.
§ 80.
a. Historische Einleitung
Während des späten Mittelalters waren die Juden in Ganz Deutschland Hörige des Königs (kaiserliche Kammerknechte), welchem die Vogtei sehr ausgedehnte Rechte über ihre Person und ihr Vermögen gab. Die Veranlassung zu diesem Verhältnis gab ohne Zweifel ihre politische Lage in den römischen Provinzen in den späteren Zeiten des römischen Reichs; doch scheint jenes erst seit dem 11ten Jahrhundert die Gestalt erhalten zu haben, in welcher es die späteren Rechtsmonumente darstellen. Vermöge desselben traten die Juden an keinem Ort, wo ihnen der kaiserliche Schutz Aufnahme verschaffte, in das Gemeindebürgerrecht (womit jedoch ihre Vereinigung in eine besondere Judengemeinde keineswegs unvereinbar war), vielmehr in den Genuss der Freiheitsrecht ein; sie lebten daher mit beschränkter Rechtsfähigkeit als eine besondere Art von Schutzverwandten, wiewohl sie sonst, mit Ausnahme einzelner Privilegien, die ihnen theils allgemein (Dahin gehört das Recht, öffentlich ihnen verkauftes oder verpfändetes Gut nur gegen Bezahlung des Kaufschillings an den Eigenthümer restituieren zu dürfen, und das Recht Zinsen zu nehmen, von welchen jedoch durch die Reichspolizei Ordnungen das erstere (1548. Tit. 20; 1577. Titel 20 § 2) aufgehoben, und das letztere (Reichspolizei Ordnung 1530. Titel 27; 1548. Titel 19. § 6. Titel 20; 1577. Titel 20) den allgemeinen Bestimmungen über den Zinsfuss unterworfen wurde. Das hie und da durch Particularrecht begründete Recht, höhere Zinsen zu nehmen, ist da, wo die neueren Gesetze ihnen die Rechte der christlichen Unterthanen einräumen, aufgehoben worden. Vergleiche preußisches Landrecht Theil 1. Titel II. § 805. und Gesetzsammlung 1813 Seite 77) theils vermöge besonderer Vergünstigung zugestanden wurden, dem gemeinen kaiserlichen Recht unterworfen waren. Das Recht sie zu schützen, anfangs nur durch einzelne kaiserliche Concessionen auf Reichsstände übertragen, wurde mit der Entwicklung der Landeshoheit ein in dieser enthaltenes, späterhin in den Reichsgesetzen als solches anerkanntes Regal (Reichspolizei Ordnung 1548 Titel 20. Dass fürohin niemand Juden anzunehmen oder zu halten gestattet werden soll, dann denjenigen, die von Uns und dem heiligen Reich Regalia haben oder insbesonderheit derhalben privilegiert seynd), welches wie andere Rechte dieser Art auch von Gemeinheiten und Privatpersonen erworben werden kann. Jener Zustand blieb, wenn auch vor der milderen Sitte die willkürlichen Dispositionen über ihr Vermögen, die man sonst aus dem Schutzrecht hergeleitet hatte, verschwanden, im Wesentlichen bis auf die neuesten Zeiten unverändert; erst seit dem letzten Viertel des 18ten Jahrhunderts ist der Rechtszustand der Juden durch einzelne Gesetze dem der übrigen Unterthanen mehr gleich gestellt worden. Durch die deutsche Bundesacte werden zwar die Rechte, welche von den deutschen Bundesstaaten ihnen eingeräumt sind, gesichert, die Einführung eines möglichst gleichförmigen Verhältnisses aber erst von einer künftigen Vereinbarung abhängig gemacht (Bundesacte Art. 16. Die Bundesversammlung wird in Berathung ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sey, und wie insbesonderheit denselben der Genuss der bürgerlichen Rechte, gegen die Übernahme aller Bürgerpflichten, in den Bundesstaaten verschafft und gesichert werden könne. Jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte erhalten); der gegenwärtige Rechtszustand der Juden lässt sich daher nur mit Rücksicht auf das früherhin allgemein geltende Recht darstellen, welches viele Staaten noch beibehalten haben, wobei dann der Inhalt der neueren Gesetze als Modification desselben zu behandeln ist.
§ 81.
b. Verminderte Rechtsfähigkeit der Juden
Das Rechtsverhältnis der Juden unterscheidet sich nach dem bisherigen Recht von dem der christlichen Unterthanen
I. durch die erschwerte Erwerbung des Unterthanenrechts. Diese erfordert einen für die einzelne Person und einen bestimmten Ort besonders erlangten Schutzbrief (Geleitsbrief), welcher keineswegs immer auf die Kinder dieser Schutzjuden (Judaei recepti, vergleitete Juden) vererbt wird, und auch in diesem Fall nicht das Recht zu enthalten pflegt, alle Kinder auf den Grund desselben ansässig zu machen. Die neuesten Gesetze haben zwar den sämmtlichen zur Zeit ihrer Promulgation im Lande aufgenommenen Juden häufig für sich und ihre Nachkommen das Unterthanenrecht ertheilt (Preußisches Edikt § 1 – 6. Etwas beschränkter bairisches Gesetz § 1 – 10. und im badischem Constitutionsedict vom 4. Juni 1808. § 19), aber doch zuweilen ihre Aufnahme an einzelnen Orten von einer besonderen Concession abhängig gemacht, oder doch einer besonderen policeilichen Aufsicht unterworfen, und dann auch wohl an die Bedingung der Betreibung eines anderen Gewerbes als des sogenannten Noth- und Schacherhandels geknüpft (bairisches Gesetz § 12 – 15. § 20.; badisches Gesetz § 18 – 23. Daher sind auch die nach den früheren Rechtsverhältnissen nothwendigen Heiratsconcessionen noch nicht allenthalben weg gefallen); die Aufnahme fremder Juden ist allenthalben von besonderer landesherrlicher Concession abhängig geblieben. Der Aufenthalt von Juden, welche nirgends das Unterthanenrecht genießen (non recepti, unvergleitete Juden), mithin als Fremde ohne Wohnsitz zu betrachten sind, ist den policeilichen Beschränkungen unterworfen, welche aus diesem Verhältnis entspringen, wiewohl heutzutage von diesen sowohl als von einheimischen und fremden Schutzjuden der ehedem allgemein eingeführte Leibzoll nicht mehr erhoben wird.
II. Auch das durch die Aufnahme gewährte Unterthanenrecht ist nur unvollkommen, und begreift ordentlicherweise bloß die Befugnis zur Betreibung der im Schutzbrief oder besonderen Juden-Ordnungen gestatteten Gewerbe gegen Entrichtung besonderer Abgaben (Schutzgelder); den Aufgenommenen fehlt hingegen die Fähigkeit, öffentliche Ämter und Würden zu erhalten, und Bürger- und Zunftrecht zu gewinnen; selbst der Erwerb der Grundstücke ist ihnen wenigstens nur in sehr beschränktem Umfang oder vermöge besonderer Privilegien gestattet. In den neuesten Gesetzgebungen ist zwar die Erwerbung der Gemeinderechte und des Grundeigenthums, so wie die Betreibung der Gewerbe mit mehr oder weniger Ausnahmen erlaubt worden; doch ist die Zulassung zu öffentlichen Ämtern und Würden immer noch beschränkt geblieben.
III. Im Übrigenhaben die Juden schon bisher, wenige Ausnahmen abgerechnet, mit den christlichen Unterthanen einerlei Privatrecht gehabt. Zu jenen gehört:
1.) den jüdischen Ehefrauen versagt das römische Recht die Privilegien des Heirathsgutes, welches hie und da eine entschiedene Praxis für sich, andererwärts aber diese, gestützt auf eine abweichende Auslegung, gegen sich hat, und nothwendig da hinweg fällt, wo neuere Gesetze den Juden ausdrücklich gleiche Privatrechte mit den christlichen Unterthanen beilegen.
2.) Contracte eines Juden mit einem Christen sollen vor der Obrigkeit des letzteren errichtet werden (Reichsabschied 1551 § 78, 79. Dass die Juden hinfürter kein Verschreibung oder Obligation vor Jemand anders dann der ordentlichen Obrigkeit darunter der contrahierend Christ gesessen, aufrichten; doch sollen den Juden die aufrichtige Handthierung und Commercien in den offenen und freien Messen und Jahrmärkten hiermit unbenommen seyn. Da aber einige Verschreibung vonnöthen – und – sie diesem zu entgegen – aufrichten ließen – soll dieselbe kraftlos nichtig und unbindig seyn und kein Richter darauf erkennen); eine Bestimmung, die da, wo nicht durch particuläre Gesetze ihre Vollziehung, besonders in einem beschränkteren Umfang, gesichert ist, gewöhnlich nicht praktisch geworden ist.
3.) Die Verordnung, dass Juden ihre Forderungen an Christen nicht an andere Christen abtreten sollen (Reichsabschied 1551. § 79. Soll kein Christ hinfürter einem Juden sein Action oder Forderung gegen einen andern Christen abkaufen, oder ein Jud als Schuldgläubiger einem andern Christen solche Actionen und Forderungen in einigem Weg cediren, oder einige contractsweise zustellen, bei Verlierung derselben Forderung), hat in ihrer Anwendung eben so viele Schwierigkeiten gefunden (In wiefern die Cession selbst nach den sächsischen Gesetzen statthaft, aber an bestimmte Formen gebunden ist, siehe bei sächsischen Privatrecht; Da preußische Landrecht hat sie nie beachtet. Thema I. Titel II § 411. Hie und da ist sie aber auch bestätigt), und fällt wenigstens bei kaufmännischen Geschäften und Indossamenten trassierter Wechsel vermöge der Schutzprivilegien hinweg; dass sie aus diesem Grund, oder wegen entgegenstehender derogatorischer Gewohnheit, überhaupt unanwendbar sey, ist hingegen sehr bestritten.
4.) Die Beweiskraft der Handelsbücher hängt zunächst von kaufmännischen Rechten der Person und der Art ab, wie sie geführt sind; sie kann daher auch den Handelsbüchern der Juden unter jenen Voraussetzungen nicht abgesprochen werden, und der Zulässigkeit eines Erfüllungseides steht an sich nichts entgegen. Hiermit steht keineswegs im Widerspruch, dass in Rechtsstreitigkeiten zwischen Juden und Christen
5.) dem Zeugnis eines Juden, wenn er von seinem Glaubensgenossen zum Zeugen vorgeschlagen wird, keine vollständige Beweiskraft beigelegt wird.
§ 82.
c. Anwendbarkeit des jüdischen Rechts.
Die Juden haben ihr nationales Recht auch außerhalb Palästina beibehalten, wo ihnen dessen Gebrauch in den abendländischen Staaten verstattet worden ist. Es besteht aus den mosaischen Gesetzen, sofern deren Inhalt außerhalb Palästina für anwendbar gehalten wird, und dem ungeschrieben im Talmud aufbewahrten Recht, welches sich an jene anschließt; aus den beiden Haupttheilen des letzteren, der Mischa und Gemara, sind die Rechtsbücher genommen, welche jetzt von den jüdischen Gelehrten (Rabbinen) gebraucht werden. Die Anwendung der Ceremonialgesetze, welche in diesen Quellen enthalten sind, und die Anstellung eines Rabbinen, sofern sie sich auf jene bezieht, ist zwar der landesherrlichen Aufsicht unterworfen, aber eine Folge der den Juden gestatteten Religionsübung; in so weit ist dann auch der den Rabbinen zukommende sogenannte Schulbann als eine mit jener gestattete Befugnis anzusehen, wiewohl die Gränzen seines Gebrauchs gesetzlich bestimmt werden können. Hingegen ist die Anwendung der auf bürgerliche Verhältnisse Bezug habenden Bestimmungen nicht nur dann ausgeschlossen, wenn Streitigkeiten zwischen Christen und Juden zu entscheiden sind, es wäre denn, dass deren Nichtbeachtung einen bei jeder geduldeten Religionspartei widerrechtlichen Zwang in Religionssachen enthalten würde, sondern auch bei Streitigkeiten der Juden unter einander, wenn diese vor dem ordentlichen Richter angebracht werden (L.S.C. de Judaeis. Judaei communi Romano jure viventes, in his causis quae tam ad superstitionem eoreum, quam ad forum et leges ac jura pertinent, adeant solemni more judicia, omnesque Romanis legibus conferant et excipiant actiones. Si qui vero ex his communi pactione ad similitudinem arbitrorum apud Judaeos in civili duntaxal negolio putaverint liligandum: sorliri eorum judicium jure publico non vententur. Eorum etiam sententias Judices exequantur; tanquam ex sententia cognitoris arbitri dati fuerint. L. 15. C. eod. Si qua inter Christianos et Judaeos sit conlentio, non a senioribus Judaeorum, sed ab ordinarii judicibus dirimatur), und nicht etwa das gemeine bürgerliche Recht selbst einzelne Verhältnisse nach den Grundsätzen jeder Religionsparthei beurtheilt, oder durch autonomische Disposition die Anwendbarkeit des jüdischen Rechts besonders begründet wird. So weit die Autonomie der Unterthanen überhaupt nicht beschränkt ist, erlaubt aber den Juden nicht nur das gemeine Recht, sondern auch der deutsche Gebrauch, Streitigkeiten unter einander der Entscheidung der Rabbinen nach jüdischem Recht zu überlassen. Als bloße Schiedsrichter können nur diese nichts verfügen oder bestimmen, was seiner Natur nach bloß kraft wahrer Gerichtsbarkeit erledigt werden kann, mithin zwar über die Güterverhältnisse der Eheleute, der Eltern und Kinder, über contractliche Verhältnisse, selbst über die Erbfolge Die Meinung, dass diese, auch abgesehen von dem Verhältnis, nach den jüdischen Ritualgesetzen beurtheilt werden müsse, hat wohl die L. 8. C. de Judaeis gegen sich, wenn gleich zuweilen particuläre, selbst neuere Gesetze, die Anwendung des jüdischen Rechts wenigstens in einem gewissen Umfang allgemein dabei zulassen) einen Ausspruch thun, aber durch diesen keine Ehescheidung rechtfertigen, einen Vormund bestellen oder bestätigen, Obsiegnationen vornehmen, oder Inventarien errichten. Eine weiter Ausdehnung hat die Gewalt der Rabbinen häufig durch Privilegien erhalten, welche in gewissen Sachen den Beklagten sich vor jenem einzulassen verpflichtet, und nur den Recurs oder die Appellation an die Landesgerichte beiden Theilen freigeben; der ordentliche Richter wird dadurch verbunden, in Sachen dieser Art auch nach jüdischem Recht zu entscheiden, wenn gleich die Rabbinen dadurch eine wahre Jurisdiction keineswegs erhalten, sondern höchstens zu einem ausgedehnteren Gebrauch des Schulbanns berechtigt werden. Gerade die neuesten Gesetze haben aber diese Rechte der Rabbinen und überhaupt den Gebrauch des jüdischen Rechts, selbst gegen den Inhalt des gemeinen Rechts, bald beschränkt, bald ganz aufgehoben (Hildburghauser Verordnung § 4. Alle Angelegenheiten der Juden, sowohl mit Nichtjuden als unter sich, werden nach den allgemeinen Gesetzen und Ordnungen des Landes, und soviel die Ausübung ihrer Religion und ihre Familienverhältnisse betrifft, nach den mosaischen Vorschriften beurtheilt. § 4. Die Juden stehen – unter der ordentlichen Obrigkeit – in Ehesachen wird von den Gerichten ein Rabbine zugezogen; Badische Verordnung § 11. In Ansehung der jüdischen Ehen, mithin auch der Ehescheidungen, der verbotenen Grade, der Trauerzeit, der Eheverträge, und der von andern abhängigen Consense zu selbigen, und dergleichen, müssen in Zukunft mit alleiniger Ausschließung der Trauungsceremonie, alle für unsere christliche Unterthanen vorhandenen Gesetze gelten - § 13. Da die Juden ihren bisherigen Gebrauch, dass die erstgeborenen Söhne allemal einen doppelten Erbtheil, die Töchter hingegen von den Vätern einen beliebigen Ausspruch erhalten, für ein in ihrer Religion begründetes Recht ansehen, so soll es dabei fernerhin verbleiben. Vergleiche preußisches Gesetz von 1812. § 20 – 28. § 30; Bairisches Gesetz § 30).
Ergänzung.
Hilse, Carl: Civil- und Misch-Ehen 1869 § 9 Seite 30 – 33
Geschichte der Eheabschlussformen.
§. 9. Bei den Juden.
Nach mosaisch-talmudischem Rechte hat der Mann durch die Schrift (Genesis I, 28) ihm gebotene Pflicht, durch eheliche Verbindung das Menschengeschlecht fortzupflanzen, und ist, dies ohne hinreichenden Grund zu unterlassen, Sünde.
Zum religiösen gesetzlichen Abschlusse fordert der Talmud nichts weiter, als dass die Brautleute sich aus freiem Willen zur Ehe entschlossen haben und dies in der Weise vor mindestens zwei Zeugen verlautbaren, dass der Bräutigam zur Braut unter Darreichen eines Werthgegenstandes, jetzt ziemlich allgemein eines Ringes (Dieser Brauch stammt aus dem Römischen Ehewesen. Sein heidnischer Ursprung soll Anlass gewesen sein, dass Cromwell 1653 bei Einführen der Civilehe in England den Trauring beseitigte), die Worte spricht: „Du sollst mir geheiligt sein nach der Lehre Moses und Israels“, und sie dazu stillschweigt. Eine geschlechtliche Vermischung ohne diese Voraussetzung gilt für sündlich, und ist nach Bewandtnis der Umstände, wenn nämlich der eine Theil verehelicht ist, an beiden Personen strafbar, führt jedenfalls aber zur Auflösung des vorher eingegangenen, jetzt gebrochenen, Ehebundes (Deuteronomion XXIV,1).
Der Volkssitte genügte jene einfache gesetzliche Form nicht. Sie verlangte nach größerem Gepränge und mehr Feierlichkeiten, worin die erhabene sittliche Idee der Ehe zur besseren Anschauung käme, sie eine höhere Weihe erhalte. Deshalb nimmt der Vater die Tochter an die Hand (Tobias VII, 15), führt sie dem Bräutigam zu und segnet nach Abschluss des Ehevertrages beide. Daher rührt der Segen (Genesis XXIV, 60; Ruth IV, 11) der Angehörigen über die fortziehende Braut, daher die üblichen mehrtägigen Festlichkeiten (Tobias VIII, 20; Richter XIV, 10; Jesaias LXI, 10; hohes Lied III, 11). Das Verlangen findet seinen Abschluss in dem bald allgemeinen Brauche einer rituellen Verlobung und Trauung und dem Unstatthaft erklären der ehelichen Umarmung (Nach einem borajtha des Rabbiners Messechet Kallah) bevor an Stelle des Brautvaters der Rabbiner zwei, bezüglich sieben Segenssprüche über die Braut gesprochen hat.
Es gehört nunmehr – und hat sich dies bis heute erhalten –zu einer vollkommenen rituellen Trauung, wofern, was gewöhnlich ist, Verlobung und Vermählung gleichzeitig gefeiert und deshalb beide Rituale vereint werden: das Aussprechen der im Talmud Chetuboth verordneten Segenssprüche, die Übergabe eines Ringes Seitens des Bräutigams an die Braut vor Zeugen unter dem die Einigung andeutenden Traubaldachin (Psalm XIV, 6; Joel II, 16; Sotha ILb; Kidduschin 5b) (Chuppa) und das Ablesen der Eheverschreibung (Tobias VII, 16). Dieselbe bestand Anfangs nur in der Festsetzung einer ihrem Minimalbetrage nach bestimmten Summe Seitens des Bräutigams für die Braut auf den Fall, dass die Ehe durch Tod oder Trennung aufgelöst würde. Jetzt wird allgemein jedoch noch die vor zwei Zeugen gemachte Eröffnung des Bräutigams an die Braut, mit ihr nach dem Gesetze Moses und Israels eine Ehe eingehen zu wollen, und ihre Zustimmungserklärung aufgenommen. Die Eheverschreibung ist somit in einem vollständigen Ehevertrag übergegangen.
Wie bei jedem öffentlichen Gottesdienste, so sollen auch bei diesem Ritual in der Regel zehn, mindestens 13 Jahre alte, männliche Personen anwesend sein, doch begründet ihre Abwesenheit keine Nichtigkeit. Auch braucht den Trauakt nicht nothwendig ein Rabbiner (Jedoch wird zuweilen die staatliche Anerkennung der Ehe von seiner Anwesenheit abhängig gemacht, z.B. in Württemberg (Gesetz vom 25. April 1828 – Regierungs-Blatt 301 Art. 37-); Königreich Sachsen (Verordnung vom 6. Mai 1839 mit neues bürgerliche Gesetzbuch vom 2. Januar 1863 § 1588); Baden (Edikt vom 6. Juni 1811 – Regierungs-Blatt XVI, 65-); Holstein (Gesetz vom 29. Juli 1863 § 8); der preußischen Provinz Hannover (Königliche Verordnung vom 29. September 1867 § 12). Dasselbe galt seit 1837 in Sardinien (Codice die Sardena – in collezione completa die moderni codici degli stati d’Italia Seite 598 – Art. 150) und seit 1820 in Parma (Codice civile per gli stati di Parma, Piacenza e Guastalla Art. 34, und in England schon seit der Lord Hardwick’s Akte vom 6. Juni 1753) vorzunehmen, vielmehr ist jedes männliche Gemeindeglied zur Trauvornahme befugt, und durch den Talmud Gittin dem, welcher mit dem Trau- und Ehescheidungswesen nicht vollständig vertraut ist, nur widerrathen.
In diesem Ceremoniell des mosaisch-talmudischen Rechtes findet die Ehe nach ihren beiden Richtungen, der religiösen und der rechtlichen Seite, gleichmäßige Berücksichtigung. Ihrem sittlichen Elemente tragen die Segenssprüche und die gottesdienstliche Form Rechnung, das rechtliche findet in der Eheverschreibung und der Übergabe des Ringes seinen Abschluss. Zwischen beiden zu nur einem Ritual verbundenen Gebräuchen besteht das Verhältnis, dass die Eheverschreibung zunächst nur die rechtlichen Folgen und Eventualitäten in’s Auge fasst, in der Folge gerade jedoch für die Wirksamkeit des Trauakts insofern vollständig entbehrlich wird, als eben ohne gegenseitige Willenserklärung der Brautleute ein Ehebündnis nicht bestehen kann, und ein unter Vernachlässigen dieser Form eingegangenes Verhältnis als Konkubinat angesehen wird, in welchem nur uneheliche Kinder geboren werden. Die weiteren Gebräuche dagegen führen das Religiös-Sittliche des Verhältnisses vor Augen, indem sie die Ernstlichkeit des vorhabenden Schrittes, die durch das neue Band zu übernehmenden Pflichten zum Bewusstsein bringen und den göttlichen Ursprung vergegenwärtigen sollen. Ihr Unterlassen kann zwar gemissbilligt werden, aber nicht die Nichtigkeit des erklärten Bündnisses zur Folge haben.
Eine Trennung dieser zwei Förmlichkeiten, so dass die Eheerklärung selbständig durch einen weltlichen Beamten entgegengenommen, die Ehesegnung getrennt von ersterer durch einen Religionsdiener geschieht, ist danach ausführbar, wird allgemein für statthaft gehalten und ist ab und zu, z.B. in Preußen, bereits praktisch durchgeführt.
Brunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, Band I Seite 275 ff, und andere mehr).
Die ersten Ansätze zu einer Gleichstellung der Juden mit den Christen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht finden sich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts und zwar in den größeren Einzelstaaten, am frühesten im Königreich Westfalen. (Eine umfassende Darstellung der Emanzipationskämpfe, insbesondere auch in Preußen und den übrigen deutschen Einzelstaaten, enthält das Buch von Prof. Dr. Martin Philippson „Neueste Geschichte des jüdischen Volkes“ Band I, Leipzig 1907.)
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I. Abschnitt:
Die Juden in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung.
A) Das Königreich Westphalen
Königliches Dekret vom 27. Januar 1808 (Simon I Seite 589)
Wir Hieronymus Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die Konstitution König von Westphalen, französischer Prinz etc. haben nach Ansicht des 10. und 15. Artikels der Konstitution vom 15. November 1807; auf den Bericht Unseres provisorischen Ministers des Justizwesens und der inneren Angelegenheiten, und nach Anhörung Unsers Staatsrates; Verordnet und verordnen, wie folgt:
Artikel 1. Unsere Untertanen, welche der Mosaischen Religion zugetan sind, sollen in Unsern Staaten dieselben Rechte und Freiheiten genießen, wie Unsere übrigen Untertanen.
Artikel 2. Denjenigen Juden, welche, ohne Unsere Untertanen zu sein, durch Unser Königreich reisen, oder darin sich aufhalten, sollen dieselben Rechte und Freiheiten zustehen, die jedem andern Fremden eingeräumt werden.
Artikel 3. Diesem zufolge sind alle Auflagen und Abgaben, welche allein die Juden zum Gegenstande hatten, bei welcher Gelegenheit sie eingeführt sein, und unter welcher Benennung sie vorkommen mögen, hiermit gänzlich aufgehoben. Es wird demnach allen Edelleuten, Lehnherren und andern Gutsbesitzern, die Unserer Hoheit unterworfen sind, verboten, diese Abgaben mehr zu erheben, oder erheben zu lassen, widrigenfalls sie alle Schäden und Kosten ersetzen, auch als solche, die sich der Erpressung schuldig gemacht haben, gerichtlich verfolgt werden sollen.
Artikel 4. Sie können, ohne wie vormals, einer besonderen Erlaubnis zu bedürfen, sich verheiraten, für die Erziehung ihrer Kinder und für deren Etablissement sorgen, ihnen ihre Güter abtreten, jedoch unter der Verpflichtung, bei diesen verschiedenen Handlungen nach den Vorschriften des Codex Napoleon sich zu richten.
Artikel 5. Es steht ihnen gleichfalls frei, in jeder Stadt, oder an jedem anderen beliebigen Orte sich niederzulassen, und daselbst ihren Handel einzurichten, vorausgesetzt, dass sie der Municipal-Obrigkeit davon gehörige Anzeige machen, und die Zunft- und Handwerksverordnungen, worin sie wünschen aufgenommen zu werden, beobachten.
Artikel 6. Unser provisorischer Minister des Justizwesens und der inneren Angelegenheiten ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Dekrets beauftragt.
Gegeben etc.
(Anmerkung: Schon Artikel 10 der Konstitution des Königreichs Westfalen vom 15. November 1807 (Bulletin des lois I Seite 13) hatte bestimmt: Le Royaume des Westphalie sera régi par des constitution, qui consacrent l’égalité de tous les sujets devant la loi, et le libre exercise des cultes.)
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II. Abschnitt:
Bildung und Organisation der Synagogengemeinden;
Kultuswesen und Kultusabgaben; Volksschulwesen;
Armenwesen.
A) Das Königreich Westphalen
Königliches Dekret vom 31. März 1808 (Simon I Seite 589 ff.)
Wir Hieronymus Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die Konstitution König von Westfalen, französischer Prinz etc. haben in Erwägung, dass, wenn die Juden gleich Unsern andern Untertanen die freie Ausübung ihres Gottesdienstes genießen sollen, diese Religionsübung auch, wie die andern, Unserer Aufsicht unterworfen sein muss, damit sie nicht mit der Gesetzgebung und derjenigen öffentlichen Moral in Widerspruch stehe, welche die Richtschnur aller Menschen sein und aus ihnen nur eine einzige politische Gesellschaft bilden muss:
dass die Juden nicht ferner eine getrennte Gesellschaft im Staate ausmachen dürfen, sondern, nach dem Beispiele aller Unserer Untertanen, sich in die Nation, deren Glieder sie sind, verschmelzen müssen;
dass indes aus dieser Vermischung nicht der Missbrauch erwachsen darf, dass ein jeder derselben von den Kosten des Gottesdienstes oder von den Schulden, die ihre Gemeinheiten entweder zu deren Bestreitung oder zur Abtragung der ihnen ehemals auferlegten Lasten aufgenommen haben, sich befreit erachte;
auf den Bericht Unseres Minister Unseres Staatsrates; verordnen und verordnen:
Artikel 1. Es soll in Unserer Stadt Cassel ein Konsistorium für die jüdische Religion errichtet werden.
Dieses Konsistorium soll bestehen aus einem Präsidenten, der ohne Unterschied aus den Rabbinern oder den andern Juden gewählt wird, drei Rabbinern, zwei jüdischen Gelehrten und einem Sekretär, und sollen die Mitglieder desselben Unserem Minister der Justiz des Innern vorgeschlagen und von Uns bestätigt werden.
Artikel 2. Die Ernennung der neuen Mitglieder an die Stelle der verstorbenen oder abgegangenen geschieht auf den vom Konsistorium gemachten Vorschlag zweier Kandidaten für jede erledigte Stelle.
Artikel 3. Der Gehalt der Mitglieder des Konsistoriums ist auf dreitausend Franken für den Präsidenten. auf zweitausend Franken für jeden Rabbiner, auf eintausend Franken für einen jeden der andern Mitglieder, und auf zweitausend für den Sekretär festgesetzt.
Artikel 4. Das Konsistorium soll beauftragt sein, die Aufsicht zu führen:
über alles was die Religionsübung betrifft;
über die Ansetzung, Erhebung, Verwaltung und Verwendung der zu den Kosten des Gottesdienstes bestimmten Beiträge und Stiftungen;
über die Ansetzung, Erhebung und Verwaltung der Beträge und Stiftungen, welche zur Besoldung des Konsistoriums und zu den Schulen und milden Anstalten, welche die Juden für die Kinder und Armen ihrer Religion unterhalten, bestimmt sind;
über die Vollziehung der zum Abtrag der von den ehemaligen jüdischen Gemeinheiten gemachten Schulden getroffen oder noch zu treffenden Maßregeln.
Artikel 5. Die Aufsicht in Betreff der Religionsübung soll unter sich begreifen die Ritualien oder gottesdienstlichen Verordnungen, den Gottesdienst, die Synagogen, die Disziplin und den Religions-Unterricht; alle diese Gegenstände sollen von dem Konsistorium unter Oberaufsicht und einzuholenden Genehmigung der Regierung angeordnet und festgesetzt werden.
Das Konsistorium soll die Rabbiner und Schullehrer prüfen und über sie die Aufsicht führen; sie können aber ihr Amt nicht antreten, ohne vorher von Unserm Minister der Justiz und des Innern bestätigt zu sein.
Artikel 6. Das Konsistorium soll darüber wachen;
dass die Rabbiner und Schullehrer bei jeder Gelegenheit den Gehorsam gegen die Gesetze und besonders gegen diejenigen, welche sich auf die Verteidigung des Vaterlandes beziehen, lehren; dass sie in ihrem Unterricht den Militärdienst als eine heilige Pflicht darstellen, während deren Ausübung das Gesetz von allen damit vereinbaren religiösen Gebräuchen entbindet;
dass in allen Synagogen öffentliche Fürbitte für Uns und Unser Haus gehalten werde;
dass die Rabbiner die Ehen nicht eher einsegnen und die Ehescheidungen nicht eher aussprechen, als nachdem ihnen die Berechtigung des Civil-Akts der Ehe oder Ehescheidung nachgewiesen ist.
Artikel 7. Auf den Vorschlag des Konsistoriums wird Unser Minister der Justiz und des Innern die Haupt-Synagoge für jedes Departement, so wie die Anzahl und den Ort der untergeordneten Synagogen bestimmen.
Artikel 8. Es sollen Syndiken zur Aufsicht in einem jeden Departement bestellt werden, deren Anzahl und Verrichtungen auf den Vorschlag des Konsistorium bestimmt werden.
Sie sollen auf den Vorschlag des Letzteren von Unserem Minister der Justiz und des Innern ernannt werden.
Artikel 9. Die Regierung wird gleichfalls auf den Vorschlag des Konsistoriums die Ansetzung, Erhebung und Verwaltung der Gelder, die zur Berichtigung der in den obigen Artikeln erwähnten verschiedenen Ausgaben bestimmt sind oder noch bestimmt werden, festsetzen und die Beitreibungsmittel vorschreiben.
Artikel 10. Alle diese Ausgaben und namentlich der Gehalt des Konsistoriums, der Rabbiner und der Lehrer, die Unterhaltung und Reparaturen der Tempel und Synagogen, die Schulkosten zur Erziehung der Armen und Waisenkinder, die Unterstützung der Alten und Schwachen, endlich die Schulden der ehemaligen jüdischen Gemeinheiten sollen mittelst der für jeden Gegenstand bestehenden Stiftungen und Verschreibungen berichtigt werden, im Falle diese nicht zureichen sollten, soll das Fehlende durch verhältnismäßige Beiträge ergänzt werden, deren Verteilungs-Verhältnisse von dem Präfekten, auf das Gutachten der Unter-Präfekten, für exekutorische erklärt werden sollen, nachdem sie von dem Minister genehmigt sind.
Artikel 11. Die ehemaligen jüdischen Gemeinheiten werden in denselben Bezirkungen, welche sie vor der jetzigen Territorial-Einteilung des Königreiches hatten, fortbestehen, aber als besondere Gesellschaften nur in Hinsicht der von ihnen kontrahierten Schulden, und der Verschreibungen, wegen welcher die Mitglieder dieser Gesellschaften verhaftet sind.
Artikel 12. Die jüdischen Gemeinheiten haben unverzüglich für die Bezahlung ihrer Schulden Sorge zu tragen, und bis zu deren Berichtigung muss jeder Jude zu den Schulden, Kosten und Lasten der Gemeinheiten, zu welcher er vor der jetzigen Territorial-Einteilung des Königreichs gehört, ferner Beitrag leisten.
Artikel 13. Jeder Jude, welcher sich im Königreiche niederlässt, soll gehalten sein, innerhalb sechs Wochen sich in die Register der Synagoge, in deren Bezirk er seinen Wohnsitz nimmt, eintragen zu lassen, um zu den Lasten des Gottesdienstes beizutragen.
Artikel 14. Der bürgerliche Zustand der Juden soll in jeder Gemeinde vom 1. Mai dieses Jahres an von dem Maire und in dessen Ermangelung von dem Adjunkten festgestellt werden.
Das Konsistorium und die Rabbiner haben in Übereinstimmung mit der bürgerlichen Autorität darüber zu wachen, dass die jüdischen Familien die Geburts-, Ehe- und Sterbe-Akten, den Vorschriften des Codes Napoleon gemäß, vor diesen Beamten verrichten. Die Mairen und Adjunkten haben sich in Hinsicht der Haltung der Register und der Aufnahme der Akten nach den Vorschriften des Codes Napoleon und unseres Dekretes vom 22. Januar dieses Jahres zu bemessen.
Artikel 15. Innerhalb drei Monaten, von der Publikation des gegenwärtigen Dekrets an gerechnet, sollen alle Juden dem Namen, unter dem sie bekannt sind, einen Beinamen hinzufügen, welcher der Unterscheidungsname ihrer Familie werden soll; sie müssen ihn bei der Munizipalität ihres Wohnortes eintragen lassen, und dürfen ihn, weder sie, noch ihre Kinder, bei Strafe Namensverfälschung, ohne Unsere Erlaubnis, nicht verändern.
Die Mairen haben darauf zu achten, dass sie weder Namen von Städten, noch solche, welche bekannten Familien zugehören, annehmen.
Artikel 16. Bei der Eintragung der Namen müssen die Juden die Anzahl und das Alter ihrer lebenden Kinder angeben und haben sie zur Unterstützung ihrer Angabe in Betreff des Alters bescheinigte Auszüge der Geburtsregister, wenn deren vorhanden sind, oder sonstiger Dokumente, die bisher unter ihnen in Gebrauch waren, vorzulegen. Bei ermangelnder Authentizität dieser Register oder Dokumente soll das Alter ihrer Kinder jedes Mal, wo es dessen bedürftig wird, durch Urkunden und Zeugen bewahrheitet werden.
Artikel 17. Unser Minister der Justiz und des Innern ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Dekrets beauftragt.
Gegeben in Unserm königlichen Palaste zu Cassel den 31. März im Jahre 1808, und im zweiten Unserer Regierung.
Unterschrieben:
Hieronymus Napoleon.
Auf Befehl des Königs. Der Minister Staats-Sekretaire.
Unterschrieben: Graf von Fürstenstein.
Als gleichlautend bescheinigt:
Der provisorische Minister des Justizwesens und der inneren
Angelegenheiten.
Simeon.
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III. Abschnitt:
Der Austritt aus der Synagogengemeinde und aus
dem Judentum.
A) Der Austritt aus der Synagogengemeinde.
1. Gesetz vom 28. Juli 1876, betreffend den Austritt aus den
jüdischen Synagogen-Gemeinden
(Gesetz-Sammlung Seite 333)
§ 1.
Es ist jedem Juden gestattet, ohne Austritt aus der jüdischen Religionsgemeinschaft (dem Judentume) wegen religiöser Bedenken aus derjenigen jüdischen Synagogen-Gemeinde (jüdischer Kultusgemeinde, religiösen jüdischen Gemeinde, israelitischen Religionsgemeinde) auszutreten, welcher er auf Grund eines Gesetzes, eines Gewohnheitsrechts oder einer Verwaltungsvorschrift angehört.
Ein Jude, welcher von dieser Befugnis Gebrauch gemacht hat, wird bei Verlegung seines Wohnsitzes in den Bezirk einer anderen Synagogen-Gemeinde nicht Mitglied dieser Gemeinde, wenn er derselben vor oder bei seinem Einzuge eine schriftliche dahin gerichtete Erklärung, dass er nicht Mitglied der Gemeinde werden wolle, abgibt.
§ 2.
Der Austritt aus einer Synagogen-Gemeinde (jüdischen Kultusgemeinde etc. § 1) mit bürgerlicher Wirkung erfolgt dadurch, dass der Austretende in Person vor dem Richter seines Wohnortes den Austritt unter Hinzufügung der Versicherung erklärt, dass solcher auf religiöser Bedenken beruhe.
§ 3.
Der Aufnahme der Austrittserklärung muss ein hierauf gerichteter Antrag vorangehen. Derselbe ist durch den Richter dem Vorstande der betreffenden Synagogen-Gemeinde ohne Verzug bekannt zu machen. Die Aufnahme der Austrittserklärung findet nicht vor Ablauf von vier Wochen und nach spätestens innerhalb sechs Wochen, nach Eingang des Antrages, zu gerichtlichem Protokolle statt. Abschrift des Protokolls ist dem Vorstande der Synagogen-Gemeinde zuzustellen. Eine Bescheinigung des Austritts ist dem Ausgetretenen auf Verlangen zu erteilen.
§ 4.
Als Kosten des Verfahrens werden nur Abschriftsgebühren und bare Auslagen in Ansatz gebracht.
§ 5.
Die in den vorstehenden Bestimmungen dem Richter beigelegten Verrichtungen werden im Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Cöln durch den Friedensrichter, im Gebiete der ehemals freien Stadt Frankfurt am Main durch die zweite Abteilung des Stadtgerichts daselbst wahrgenommen.
§ 6.
Die Austrittserklärung bewirkt, dass der Ausgetretene
an den Rechten, welche den Mitgliedern der Synagogen-Gemeinde als solchen zustehen, vom Tage der Erklärung ab nicht mehr teil zu nehmen hat, und
zu Leistungen, welche auf der persönlichen Angehörigkeit zur Synagogen-Gemeinde beruhen, oder welche hinsichtlich der dieselbe beaufsichtigenden Beamten durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift allgemein den Juden eines bestimmten Bezirks auferlegt sind, vom Schlusse des auf die Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres ab nicht mehr verpflichtet wird.
Der Austretende hat jedoch zu folgenden Lasten der Synagogen-Gemeinde für die dabei bemerkte längere Zeit noch ebenso beizutragen, als wenn er seinen Austritt aus der Synagogen-Gemeinde nicht erklärt hätte:
zu den Kosten eines außerordentlichen Baues, dessen Notwendigkeit vor Ablauf des Kalenderjahres, in welchem der Austritt aus der Synagogen-Gemeinde erklärt wird, festgestellt ist, bis zum Ablaufe des zweiten auf die Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres;
zur Erfüllung derjenigen Verpflichtungen der Synagogen-Gemeinde, welche zur Zeit der Austrittserklärung dritter Personen gegenüber bereits begründet sind, für die Dauer dieser Verpflichtungen, indessen längstens bis zum Ablaufe des auf die Austrittserklärung folgenden fünften Kalenderjahres. Einnahmen aus Grundstücken müssen zunächst zur Erfüllung der Verpflichtungen werden, welche aus dem Besitze oder der Benutzung derselben herrühren. Der Betrag, welchen der Ausgetretene zu leisten hat, soll den Durchschnittsbetrag der von ihm in den der Austrittserklärung vorhergegangenen drei Kalenderjahren geleisteten Beiträge nicht übersteigen. Das Recht der Mitbenutzung des Begräbnisplatzes der Synagogen-Gemeinde und die Pflicht der Teilnahme an den Lasten, welche der Synagogen-Gemeinde aus dem Begräbnisplatzes erwachsen, verbleiben dem Ausgetretenen so lange, als ihm nicht die Berechtigung zusteht, einen anderen Begräbnisplatz zu benutzen. Erworbene Privatrechte an Begräbnisstellen werden durch den Austritt nicht berührt.
Verlegt der Ausgetretene seine Wohnsitz aus dem Bezirke der Synagogen-Gemeinde in den Bezirk einer anderen Synagogen-Gemeinde, so erlischt, vorbehaltlich der Vorschrift im § 7, jede nach den Bestimmungen unter No. 2 dem Ausgetretenen obliegende fernere Beitragspflicht, wenn derselbe Mitglied der Synagogen-Gemeinde des neuen Wohnortes geworden ist.
Leistungen, welche nicht auf persönlicher Angehörigkeit zur Synagogen-Gemeinde beruhen, insbesondere auch sämtliche Leistungen für Zwecke der öffentlich jüdischen Schulen, jedoch mit Ausnahme der Religionsschulen der Synagogen-Gemeinden, werden durch die Austrittserklärung nicht berührt.
§ 7.
Die Bestimmungen des für das Großherzogtum Posen erlassen Gesetzes vom 24. Mai 1869 (Gesetzsammlung Seite 838) über die Verpflichtung der ihren Wohnsitz verändernden Mitglieder einer Synagogen-Gemeinde zur Ablösung ihres Anteils an den Kapitalschulden der letzteren, sollen fortan für den Fall der ersten künftigen Wohnsitzveränderung im Sinne des § 2 des gedachten Gesetzes auch auf diejenigen Juden Anwendung finden, welche, ehe diese Wohnsitzveränderung erfolgt, aus der Synagogen-Gemeinde ihres Wohnortes im Großherzogtum Posen auf Grund des gegenwärtigen Gesetzes ausgetreten sind. Die nach § 6 dieses letzteren dem ausgetretenen obliegende fernere Beitragsleistung erlischt aber beim Eintritte der Verpflichtung desselben zur Ablösung nach dem Gesetze vom 24. Mai 1869.
§ 8.
Vereinigen sich die Ausgetretenen behufs dauernder Einrichtungen eines besonderen Gottesdienstes, so können denselben durch Königliche Verordnung die Rechte einer Synagogen-Gemeinde beigelegt werde.
§ 9.
Hinsichtlich des Austritts aus der jüdischen Religionsgemeinschaft (dem Judentume) bleibt es bei den Bestimmungen des Gesetzes vom 14. Mai 1873, betreffend den Austritt aus der Kirche.
Die nach § 6 litt. b des gegenwärtigen Gesetzes den aus einer Synagogen Gemeinde ausgetretenen Juden obliegende besondere Verpflichtung wird durch den nachträglichen Austritt derselben aus dem Judentume aufgehoben.
Alle diesem Gesetze entgegenstehenden Bestimmungen werden hierdurch außer Kraft gesetzt.
Anmerkung 1: Auf Grund der Bestimmung des § 8 vorstehenden Gesetzes wurden die Rechte einer Synagogengemeinde verliehen z: B:
der „Altisraelischen Kultusgemeinde“ in Wiesbaden durch Verordnung vom 24.3.1879 (Gesetz-Sammlung Seite 273 ff., wo auch die Statuten abgedruckt sind);
der Synagogengemeinde „Adass Jisroël“ in Berlin durch Verordnung vom 9.9.1885 (Gesetz-Sammlung 337);
der Synagogengemeinde „Adass-Jeschurun“ in Köln durch Verordnung vom 1.12.1908 (Gesetz-Sammlung Seite 219).
Anmerkung 2: Das Gesetz verdankt seine Entstehung der Anregung des Abgeordneten Lasker, der in der Sitzung des Abgeordneten-Hauses vom 19. März 1873, als der Entwurf des Gesetzes betr. den Austritt aus der Kirche beraten wurde, folgenden Antrag stellte:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:
die Königliche Staatsregierung aufzufordern:
Dem Landtage baldigst eine Vorlage zu machen, durch welche auch den Juden in allen Teilen der Monarchie der Austritt aus einer Religions-Gemeinschaft aus konfessionellen Bedenken ohne gleichzeitigen Austritt aus dem Judentum ermöglicht wird und die in einzelnen Landesteilen etwa entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmungen aufgehoben werden.
Dieser Antrag wurde mit sehr erheblicher Mehrheit angenommen nachdem Lasker ihn wie folgt begründet hatte:
Meine Herren! Sie können aus den letzten Resultaten, welche die Motive des Gesetzes für die Juden beabsichtigen, entnehmen, dass in Wahrheit eine exzeptionelle Stellung für die Juden gegenwärtig begründet werden soll. Ich lasse mich auf die juristischen Feinheiten, durch welche diese Ausnahmestellung begründet werden soll, zunächst nicht ein. Tatsache aber ist, wenn die Motive der Regierung Recht haben, was ich bestreite, so würde der gegenwärtige Zustand derartig sein: Jeder, der zu einer christlichen Kirche gehört, braucht nur zum Richter hin zu gehen, nach den von Ihnen angenommenen Formen zu erklären, dass er nicht mehr der bestimmten Religionsgemeinschaft angehörte, und ist dann befreit von den Banden, Lasten und Pflichten, und der Staat kümmert sich nicht weiter, in welchem religiösen Verhältnis er sich befindet; er braucht keiner anderen Religionsgemeinschaft beizutreten. Dagegen wenn der Jude eine gleichartige Erklärung vor dem Richter abgeben will, so hat dies nach den Motiven der Regierung keinen juristischen Effekt, denn sie verlangen von ihm nicht, dass er aus einer Religionsgemeinschaft austrete, sondern, dass er aus dem Judentume austrete. Woher nun diese Vorstellung kommt, lässt sich vielleicht geschichtlich erklären, weil die Gesetze der früheren Zeit möglicherweise von der Annahme ausgegangen sind, dass innerhalb des Judentums kein Mensch sich aus einer bestimmten Gemeinschaft ausschließen könne, es sei denn, dass er aufhöre, Jude zu sein. Dies aber, meine Herren, ist ja gerade der Standpunkt der vollsten Unfreiheit des Gewissens. Denken Sie sich, wenn vom katholischen Standpunkte aus gesagt würde, es könne kein Mensch aus dieser Gemeinschaft sich ausschließen, ohne dass er dadurch aufhört, Christ zu sein, was ja möglicherweise von Seiten der Katholiken nach einer bestimmten Lehre prätendiert werden könnte; dies würde ein Zustand der vollsten Unfreiheit des Gewissens sein.
(Zuruf aus dem Zentrum).
Es wird mir eben von diesen Bänken aus (zum Zentrum gewendet) ein Zeichen gemacht, dass niemals die Katholiken derartiges prätendieren, - ich lasse dahin gestellt sein, wie weit das richtig ist. Tatsache aber ist, dass die Motive der Regierung die Juden in eine solche Stellung bringen oder sie darin erhalten wollen.
Nun wird von der einen Seite, von dem Herrn Abgeordneten von Brauchitsch, dargetan, dass diese Stellung ein sehr bedeutendes Privilegium für die Geldverhältnisse der jüdischen Gemeinden in sich schließe. Aber auf der anderen Seite kann doch nicht geleugnet werden, dass, wenn dies ein vorteilhaftes Privilegium für die Gemeinden ist, es ein privilegium odiosum oder ein Nachteil für die Gewissen der einzelnen Mitglieder ist.
Nun beschäftigt sich das vorliegende Gesetz gerade damit, die Gewissensfreiheit der einzelnen Mitglieder gegen die Kirchengemeinschaften und Gemeinden wahrzunehmen. Welchen Nutzen haben nun die Juden davon, wenn sie mit einer feinen Deduktion des Herr Abgeordneten von Brauchitsch abgefunden werden, das es schwerer sei, aus einer christlichen Kirchengemeinschaft auszutreten, als aus einer Synagogengemeinschaft? Soviel ich weiß, sind die Gänge, die dabei zu machen sind, die Erklärungen, welche abzugeben sind, genau dieselben, die inneren Motive sind gleichfalls dieselben. Sie wissen, und dies ist ja nicht bloß eine Theorie, dass den meisten Reformbestrebungen gegenüber in einzelnen Gemeinden Altgläubige vorhanden sind, welche in ihrem Gewissen Bedenken tragen, neue Kultussitten mitzumachen; in Berlin haben Sie das Beispiel, es zählt nach Tausenden von Personen, welche der mittleren Gemeinde, die ihre zwangsmäßige Synagogengemeinde ist, sich nicht anschließen, sondern besondere Synagogen errichten und es nahezu für eine Gewissensfrage halten würden, dem Gottesdienste der mittleren Synagoge beizuwohnen. Ebenso ist auf der anderen Seite eine Gemeinde hier, die so weit von der mittleren Synagoge entfern ist, dass sie beispielsweise den Sabbath nicht als ihren Ruhetag feiert, sondern den Sonntag, dass sie in vielen Dingen sehr weit von dem Musterdurchschnitt entfern ist, welchen die Staats-Regierung durch Zwang aufstellt, nach der Majorität der Gemeindemitglieder in jeder einzelnen Gemeinde. Ist dies nicht eine Gewissensbelastung ohne gleichen? Hätte nicht die Regierung den Motiven hinzugefügt, dass jeder Jude aus dem Judentum austreten müsse, wenn er sein Gewissen frei machen will, und auch zugleich seinen Unwillen dagegen, zu den Lasten beizutragen, während er nicht den geringsten Vorteil davon hat, denn er macht diesen Kultus nicht mit und auch keinen Gebrauch von den Kultusbeamten, - hätte nun nicht in den unglücklichen Regierungsmotiven gestanden, dass aus dem Judentum ausgetreten werden müsse, sondern hätte die Regierung die Bedeutung des Gesetzes der richterlichen Entscheidung überlassen, so wären die Juden gar nicht dahin gekommen, diesen Paragraphen anzugreifen, sondern sie hätten des guten Glaubens gelebt, dass nach den gegenwärtigen Bestimmungen jeder einzelne erklären kann, er wolle der vom Staate privilegierte Religionsgemeinschaft nicht angehören. Nun aber sind die Motive eingeschaltet; wir als Gesetzgeber sind verpflichtet, auf die Motive der Regierung Rücksicht zu nehmen, obschon ich sie keineswegs für bindend halte, sondern jetzt noch der Meinung bin, dass ein Richter sehr wohl wird Folge geben können, namentlich in den alten Provinzen, wenn ein Jude vor ihn treten und die Erklärung angeben wird, nicht: ich trete aus der Synagogen-Gemeinde aus, sondern: ich trete aus der privilegierten Religions-Gemeinschaft der Juden in Preußen aus. Aber ich bin im Zweifel, ob ein gleiches in den neuen Provinzen der Fall ist; namentlich wird mir Bedenken erregt wegen der quasi Konsistorial-Verfassung, wie sie in Hannover existiert. Dort begründen sich vielleicht andere Rechtszustände, und da lassen Sie in der Tat die Juden in dem Zustand der Gewissensbedrängnis. Dies ist sicherlich nicht die Absicht auf irgend einer Seite des Hauses. Es hat ja in diesem Abgeordnetenhause immer sehr viel Wohlwollen für die Juden geherrscht, auch für die speziellen Verhältnisse der Juden, und ich bezweifle nicht, dass viele geneigt sind, as Gesetz von 1847, welches den einzelnen jüdischen Gemeinden ihre äußere Rechtsexistenz sichert, als eine Wohltat für die Juden zu betrachten. So ist mein seliger Freund, der verstorbene Abgeordnete Kosch, immer der Meinung gewesen, es würde ein schweres Unglück sein, wenn die Juden dieser Schutz entzogen würde. Aber ich bin der Meinung, dass innerhalb jeder Religion, und so auch innerhalb der jüdischen Religion, die wahre Probe für das wirklich religiöse Gefühl in der freiwilligen Unterwerfung besteht und nicht in dem Zwange und den Privilegien, welche die Gesetze einräumen. An denjenigen Stellen, an denen die jüdischen Gemeinden sich bloß durch Zwangsprivilegien behaupten, die der Staat ihnen beilegt, mögen sich immerhin auflösen und mögen die Einzelnen sehen, wie sie zur Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse kommen. Aber es werden aus dem Judentum heraus derartige Privilegien nicht verlangt, es sein denn, dass einzelne Vertreter des Gemeindeprinzips die Wohltat für sich in Anspruch nehmen mögen, dass die Juden hierin anders gestellt sein sollen als die Christen.
Der Herr Abgeordnete von Brauchitsch sagt, es würden bei den Juden an sehr vielen Stellen gewisse Verträge erschüttert werden können, sogar die Einrichtung von Schulen könne erschüttert werden. Ist nicht genau dasselbe der Fall mit jeder lutherischen Gemeinde oder auch mit einer katholischen, in welcher Spaltungen eintreten? – (wird näher ausgeführt).
Wollen Sie aber die juristische Konstruktion finden, so meine ich, dass der Staat eben so wenig das Recht hat zu sagen; die so und so geordneten Juden sind das Judentum, wie er ein Recht hat zu sagen: die äußerlich so und so geordneten Christen repräsentieren das Christentum. Der Staat hat die Juden anerkannt, wie sie sich in Preußen befinden, hat sie mit gewissen Korporationsrechten versehen, und die gesamte Judenheit in Preußen ist eine Religions-Gesellschaft, aus welcher der Einzelne erklären kann, austreten zu wollen und mit ihr eine fernere Gemeinschaft nicht zu halten. Der Staat hat aber nicht das Recht zu sagen; wer dies tun will, ist fortan kein Jude mehr, denn dann macht er sich zum Richter darüber, was zum Inbegriff des Judentums gehört, und was nicht.
2. Ministerial-Reskript vom 23. April 1878.
(MBIV Seite 231)
Die ausgesprochene Ansicht, dass die Aufnahme von Bestimmungen über den Austritt aus der Synagogen-Gemeinde in das Statut der letzteren unstatthaft sei, kann in dieser Allgemeinheit für zutreffend nicht erachtet werden. Selbstverständlich dürfen Bestimmungen in das Statut nicht aufgenommen werden, welche mit dem Gesetze, betreffend den Austritt aus den jüdischen Synagogen-Gemeinden, vom 28. Juli 1876 im Widerspruch stehen würden. Bezüglich solcher Fragen aber, welche das Gesetz unentschieden gelassen hat, kann die Regelung im Wege statuarischer Anordnungen nicht von vornherein für unzulässig erachtet werden.
Die §§ 73 und 75 des Statuts enthalten eine Anweisung für die Kultusbeamten, den Ausgetretenen weder Religionsunterricht zu erteilen, noch bei ritueller Handlung Beistand zu leisten. Da das Gesetz vom 28. Juli 1876 als Grund zum Austritt aus der Synagogen-Gemeinde religiöse Bedenken vorausgesetzt, so werden Leistungen der Kultusbeamten von den Ausgetretenen in der Regel nicht beansprucht werden. Sollte dies dennoch geschehen, so liegt allerdings die Vermutung nahe, dass der Austritt nicht aus religiösen Bedenken, sondern aus anderen Rücksichten erfolgt ist, und wird von diesem Gesichtspunkte aus nichts dagegen zu erinnern sein, dass die Synagogen-Gemeinde ihren Beamten die Pflicht auferlegt, ihre amtlichen Dienste nur den Mitgliedern der Gemeinde zur Ve4rfügung zu stellen. Über den Wiedereintritt eines Ausgeschiedenen in die Synagogen-Gemeinde, welche er vor seinem Austritt auf Grund des Gesetzes angehört hat, enthält das Gesetz vom 27. Juli 1876 keine Bestimmung. Dass der § 76 des vorliegenden Statuts diesen Wiedereintritt gestattet und die Bedingungen für denselben feststellt, erscheint daher nicht unzulässig. Die Bestimmungen des § 76 sind aber nicht klar und lassen eine Beachtung der Vorschriften des § 6 No. 2 des Gesetzes vom 26. Juli 1876 vermissen, nach welchen der Ausgetretene noch über den Zeitpunkt hinaus, bis zu welchem er der Zwangsgemeinde angehört hat, zu gewissen Leistungen an dieselbe verpflichtet ist.
Anmerkung 1: Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. Juli 1876 mussten in Preußen die Juden, - wofern sie nicht auf Grund des Gesetzes vom 14. Mai 1873 aus dem Judentume ausgetreten waren, - irgendeiner Synagogen-Gemeinde angehören. (Vergleiche den Erlass der Regierung zu Posen vom 12. November 1852, oben zu § 58 des Gesetzes, ferner die Entscheidung des Ober-Tribunals in der Entscheid-Sammlung Band 24 Seite 301, Band 27 Seite 381, Band 41 Seite 472 usw.)
Entscheidungen des Oberverwaltungsgericht, die den Austritt
aus der Synagogen-Gemeinde betreffen:
vom 3. Oktober 1877: über das Recht des Ausgetretenen zum Besuch des Friedhofs seiner früheren Synagogen-Gemeinde,
vom 24. April 1903: über das Recht des Ausgetretenen zur Weiterbenutzung des jüdischen Begräbnisplatzes und seine Pflichten zu Leistungen für eine öffentliche jüdische Schule,
vom 14. September 1885: über die strikte Einhaltung der Fristen des Gesetzes vom 28. Juli 1876,
vom 29. September 1903: über die Verpflichtung des Ausgetretenen zur Leistung jüdischer Kultusabgaben und seine rechtliche Stellung zur Synagogen-Gemeinde während der Dauer dieser Verpflichtung,
vom 10. Februar 1905: der von einem Juden lediglich für sich erklärte Austritt aus der Synagogen-Gemeinde bewirkt nicht ohne weiteres auch das Ausscheiden seiner Familienangehörigen, z. B. seiner minderjährigen Kinder.
vom 24. April 1906: Beitragsleitung zu den Kultuskosten beim Übertritt eines Juden zum Christentum.
B) Der Austritt aus dem Judentume.
Gesetz vom 14. Mai 1873, betreffend den Austritt aus der Kirche.
(Gesetz-Sammlung Seite 207)
§ 1.
Der Austritt aus einer Kirche mit bürgerlicher Wirkung erfolgt durch Erklärung des Austretenden in Person vor dem Richter seines Wohnortes.
Rücksichtlich des Uebertritts von einer Kirche zur andern verbleibt es bei dem bestehenden Recht.
Will jedoch der Übertretende von den Lasten seines bisherigen Verbandes befreit werden, so ist die in diesem Gesetz vorgeschriebene Form zu beobachten.
§ 2.
Der Aufnahme der Austrittserklärung muss ein hierauf gerichteter Antrag vorangehen. Derselbe ist durch den Richter dem Vorstand der Kirchengemeinde, welcher der Antragsteller angehört, ohne Verzug bekannt zu machen.
Die Aufnahme der Austrittserklärung findet nicht vor Ablauf von vier Wochen, und spätestens innerhalb sechs Wochen nach Eingang des Antrages zu gerichtlichem Protokoll statt. Abschrift des Protokolls ist dem Vorstande der Kirchengemeinde zuzustellen.
Eine Bescheinigung des Austritts ist dem Ausgetretenen auf Verlangen zu erteilen.
§ 3.
Die Austrittserklärung bewirkt, dass der Ausgetretene zu Leistungen, welche auf der persönlichen Kirchengemeinde-Angehörigkeit beruhen, nicht mehr verpflichtet wird.
Diese Wirkung tritt mit dem Schlusse des auf die Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres ein. Zu den Kosten eines außerordentlichen Baues, dessen Notwendigkeit vor Ablauf des Kalenderjahres, in welchem der Austritt aus der Kirche erklärt wird, festgestellt ist, hat der Austretende bis zum Ablauf des zweiten auf die Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres ebenso beizutragen, als wenn er seinen Austritt aus der Kirche nicht erklärt hätte.
Leistungen, welche nicht auf der persönlichen oder Kirchengemeinde-Angehörigkeit beruhen, insbesondere Leistungen, welche entweder kraft besonderen Rechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften, oder von Grundstücken des Bezirks, oder doch von allen Grundstücken einer gewissen Klasse in dem Bezirk ohne Unterschied des Besitzers zu entrichten sind, werden durch die Austrittserklärung nicht berührt.
§ 4.
Personen, welche vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes ihren Austritt aus der Kirche nach den Vorschriften der bisherigen Gesetze erklärt haben, sollen vom Tage der Gesetzeskraft dieses Gesetzes ab zu andern, als den im dritten Absatz des § 3 bezeichneten Leistungen nicht ferner herangezogen werden.
§ 5.
Ein Anspruch auf Stol-Gebühren und andere bei Gelegenheit bestimmter Amtshandlungen zu entrichtende Leistungen kann gegen Personen, welche der betreffenden Kirch nicht angehören, nur dann geltend gemacht werden, wenn die Amtshandlung auf ihr Verlangen wirklich verrichtet worden ist.
§ 6.
Als Kosten des Verfahrens werden nur Abschrifts Gebühren und bare Auslagen in Ansatz gebracht.
§ 7.
Die in diesem Gesetze dem Richter beigelegten Verrichtungen werden im Bezirke des Appel- lations - Gerichtshofes zu Cöln durch den Friedensrichter, im Gebiete der ehemaligen freien Stadt Frankfurt am Main durch die zweite Abteilung des Stadtgerichts daselbst wahrgenommen.
§ 8.
Was in den §§ 1 bis 6 von den Kirchen bestimmt ist, findet auf alle Religions-Gemeinschaften, welchen Korporationsrechte gewährt sind, Anwendung.
§ 9.
Die Verpflichtung jüdischer Grundbesitzer, zur Erhaltung christlicher Kirchensysteme beizutragen, wird mit dem Eintritt der Gesetzeskraft dieses Gesetzes auf den Umfang derjenigen Leistungen beschränkt, welche nach dem dritten Absatz des § 3 des gegenwärtigen Gesetzes den aus der Kirche ausgetretenen Personen zur Last bleiben.
§ 10.
Alle dem gegenwärtigen Gesetze entgegenstehenden Bestimmungen werden hiermit aufgehoben.
Anmerkung: § 107 des preußischen Gerichtskostengesetzes vom 25. Juni 1895 (in der Fassung vom 6. Oktober 1899, Gesetz-Sammlung Seite 325) bestimmt:
In dem Verfahren, betreffen den Austritt aus der Kirche oder einer Synagogengemeinde, wird eine Gebühr von drei Mark erhoben.
Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts:
vom 17. Januar 1896: über die Folgen des Austritts aus dem Judentum in Hannover bezüglich der Schulunterhaltungspflicht
vom 29. September 1903: über die Unzulässigkeit des Rechtswegs bei Streitigkeiten über die Verpflichtungen des aus dem Judentume Ausgetretenen zur Zahlung jüdischer Kultussteuern usw.
vom 24. April 1906: über die steuerlichen Wirkungen des Übertritts zum Christentume.
1. Exkurs: Der Übertritt zum Christentum.
1. § 43 II 11 Allgemeines Landrecht:
Keine Religionspartei soll die Mitglieder der andern durch Zwang oder listige Überredung zum Übergange zu verleiten sich anmaßen.
2. Begünstigung des Übertritts.
a) Allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 4. November 1786
In allen von Erblassern jüdischer Nation künftig zu errichtenden, sowie in den noch nicht publizierten Testamenten, und andern letztwilligen Dispositionen soll die mit Zuwendung einer Erbschaft eines Vermächtnisses oder andern Vorteils verbundene Bedingung:
„wenn der Erbe oder Legatarius bei der jüdischen Religion beharren, oder wenn er zur christlichen Religion nicht übergehen würde“,
für nicht geschrieben und unverbindlich geachtet; mithin dergleichen Erbschaft oder Legat demjenigen, welchem sie zugedacht worden, ohne dass derselbe an diese Bedingung gebunden sei, verabfolgt und gelassen werden.
b) Allerhöchste Bestätigung vom 9. Februar 1822
(Die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämtlichen Landesteilen
des preußischen Staates von Rönne und Simon (Breslau 1843) Seite 109)
Die mit der Anzeige vom 1. dieses Monats eingereichte Grundverfassung der Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden enthält nur solche Bestimmungen, die dem löblichen Endzwecke entsprechen; Ich billige sie daher und mit ihnen diesen Verein vollkommen und ertheile demselben hierdurch Meine landesherrliche Bestätigung.
Friedrich Wilhelm.
c) Kabinetts-Ordre vom 26. Februar 1822.
(Gesetz-Sammlung 1823, Seite 125)
Ich habe auf das Gesuch vom 21. vom Monat der Gesellschaft zur Verbreitung des Christentums unter den Juden für die Korrespondenz derselben die erbetene Portofreiheit bewilligt, und den Präsidenten des General-Post-Amts, Geheimen Staatsrat Nagler, danach angewiesen.
Friedrich Wilhelm.
d) Rescript der Königlichen Ministerien der geistlichen Untertanen. und
Medizinal-Angelegenheiten sowie des Innern vom 17. Mai 1827
(Annalen XI, Seite 53)
Die unterzeichneten Ministerien eröffnen der Königlichen Regierung auf Ihren, die Judentaufen betreffenden Bericht vom 3. März dieses Jahres, dass die Verfassung vom 25. September 1810 nach dem Inhalt der Allerhöchsten Kabinetts-Ordre vom 12. September v. J. allerdings für aufgehoben zu erachten ist, da die Absicht Seiner Majestät des Königs dahin gehet, den Juden durch Rücksichten, welche aus ihren bürgerlichen Verhältnissen hergenommen sind, den Übertritt zur christlichen Kirche infolge besserer religiöser Überzeugung nicht zu erschweren. Dagegen bleibt die Verpflichtung des die Taufe verrichtenden Geistlichen, durch gründlichen Unterricht dafür zu sorgen, dass der zu taufende Jude hinreichende Kenntnis der Lehren der christlichen Religion erlangt habe, wie dies in der Cirkular-Verfassung vom 7. Dezember 1819 sub 1-4 angeordnet ist, bestehen. Durch die Befolgung dieser Vorschrift wird mit Vermeidung jedes Gewissenzwanges am zweckmäßigsten auf Vermeidung von Missbräuchen hingewirkt werden.
e) Allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 31. März 1833.
(Annalen XVII Seite 387)
Ich habe mehrmals zu bestimmen Veranlassung gehabt, dass den Missionarien, die teils von der hiesigen, teils von der Missions-Gesellschaft in England zur Bekehrung der Juden in die Provinzen Meines Reichs geschickt werden, bei der Ausübung ihres Geschäfts kein Hindernis in den Weg gelegt werden soll, und Ich wiederhole diese Befehle; die Missionarien müssen sich aber streng in den Grenzen dieses Geschäfts der Judenbekehrung halten, und am wenigsten, wie schon vorgekommen ist, christlichen Gemeinden oder einzelnen Mitgliedern derselben die angestellten Pfarrer, welche ihre Meinungen nicht teilen, als Irrlehrer verdächtigen, da in diesem Falle ihr Auftrag nicht nur sofort aufhören, sondern auch die gesetzliche Strafe gegen sie angewendet werden müsste. Ich habe das Komitee der hiesigen Missions-Gesellschaft hiernach beschieden, und beauftrage Sie, in diesem Sinne das Erforderliche an die betreffenden Behörden zu erlassen.
Friedrich Wilhelm.
Anmerkung 1: Nach katholischem Kirchenrecht kommt die Befähigung zur Erteilung der Taufe jedem, gleichviel ob er selbst getauft ist oder nicht, also z. B. auch einem Juden, zu
Anmerkung 2: Nach gemeinem Recht bildete der Übertritt eines Juden zum Christentum für dessen Eltern keinen Enterbungsgrund (Entscheid der Ober-Appellations-Gericht Lübeck vom 29.1.1856, Senff. Archiv Band 11, Nr. 166)
3. Namensänderung beim Übertritt.
a) Rescript des Ministerium des Innern vom 24. Mai 1822
(Hoffmann, Seite 61)
Dem Königlichen Polizei-Präsidium wird mit Bezugnahme auf die allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 15. vor Monat hierdurch nachrichtlich bekannt gegeben, dass Seine Königliche Majestät mittelst Order vom 13. dieses Monats das unterzeichnete Ministerium im allgemeinen zu ermächtigen geruhet haben, die von den zum Christentum übertretenden Juden bei der Taufe anzunehmenden Familiennamen ohne weiteres zu bestätigen.
b) Rescript des Königlichen Ministeriums des Innern vom 11. März 1825.
(Annalen IX, Seite 107)
Dem Königlichen Polizei-Präsidio wird auf den Bericht vom 17. vom Monat eröffnet, dass dem aus Breslau gebürtigen Israeliten NN zwar unbedenklich gestattet werden kann, bei Gelegenheit des von ihm beabsichtigten Übertritts zum Christentum einen anderen Familiennamen anzunehmen, dazu jedoch ein solcher gewählt werden muss, welcher nicht bereits – wie dies bei dem Namen „Müller“ und ähnlichen der Fall ist – von gar vielen Familien geführt wird; was schon an sich als ein Übelstand anzusehen ist.
c) Verfügung vom 25. September 1903,
betr. die Änderung von Familiennamen der Juden
(MBIV Seite 211; Nr. 175)
Infolge der Bestimmung unter No. 6 des Ministerial-Erlasses vom 9. August 1867 (MBIV 1867 Seite 246) hat sich die Auffassung verbreitet, dass zum Christentum übertretende Juden im Allgemeinen berechtigt seien, sich bei der Taufe einen neuen Familiennamen zuzulegen. Diese Auffassung ist schon mit dem Erlass meines Herrn Amtsvorgängers vom 18. Mai 1900 (Anlage A) nicht mehr vereinbar, nach welchem es auch in derartigen Fällen nicht nur einer Erörterung der sich aus der Wahl des Namens selbst ergebenden Bedenken, sondern einer eingehenden Darlegung des gesamten Sachverhalts zur Rechtfertigung der Namensänderung bedarf. Sie lässt sich aber auch grundsätzlich nicht aufrecht erhalten.
Durch die in Ausführung des Edikts vom 11. März 1812 (Gesetz-Sammlung Seite 17) ergangene Instruktion vom 25. Juni 1812 wurde den Juden nur hinsichtlich des ersten von ihnen anzunehmenden Namens die freie Auswahl gestattet. während Veränderungen ihres einmal gewählten Namens nach ausdrücklicher Bestimmung nicht anders als Namensänderungen der Christen behandelt werden sollten, d.h. nur aus triftigen Gründen obrigkeitlich genehmigt werden durften. Eine Ausnahme für den Fall des Übertritts zum Christentum ist den Juden in rechtlich verbindlicher Weise niemals zugestanden worden. Insbesondere könne sie aus der Kabinettsordre vom 13. Mai 1822 nicht den Anspruch herleiten, dass die von ihnen bei der Taufe angenommenen Namen ohne weiteres zu bestätigen sein. Denn dem Minister des Innern wurde durch diese Verordnung keine Verpflichtung auferlegt, sondern nur eine Ermächtigung gegeben, deren Erteilung er selbst angeregt hatte, seitdem infolge der Kabinettsordre vom 15. April 1822 (Gesetz-Sammlung Seite 108) die Namensänderungen der Zuständigkeit des Staatsministeriums entzogen waren. Wenn im übrigen die Delegation nach den amtlichen Vorgängen auf der Erwägung beruhte, dass die Annahme neuer Familiennamen seitens der zu Christentum übertretenden Juden ganz gewöhnlich sei, so mochte dies in einer Zeit, wo die Familiennamen sich bei den Juden überhaupt noch nicht fest eingebürgert hatten, ein Grund sein, die Bestätigung des gewählten Namens in der Regel nicht zu versagen. Nachdem die Entwickelung aber zum Abschluss gelangt war, lag zu einer speziellen Begünstigung dieser Art von Namensänderungen vor anderen Fällen keine Veranlassung mehr vor.
Ew. Hochwohlgeboren ersuche ich hiernach ergebenst, bei der Beurteilung der gemäß dem Erlass vom 18. Mai 1900 hier vorzulegenden Anträge auf Änderung jüdischer Familiennamen in Zukunft gefälligst davon auszugehen, dass der Übertritt zur christlichen Religion an sich als ein zur Namensänderung ausreichender Grund auch dann nicht angesehen werden kann, wenn der Antrag in unmittelbarem Zusammenhang mit der Taufe gestellt worden ist. Berlin, den 25. September 1903.
Der Minister des Innern: Freiherr von Hammerstein
A.
Ministerialerlass vom 18. Mai 1900
(MBIV Seite 212)
Es ist neuerdings wiederholt Vorstellungen erhoben worden, dass Anträgen auf Änderung jüdischer Familiennamen ohne ausreichende Veranlassung oder doch ohne gebührende Rücksichtnahme auf die Bedenken, welche aus der Wahl des anzunehmenden Namens herzuleiten waren, von seitens einzelner Behörden stattgegeben worden sei.
Um eine wünschenswerte Einheitlichkeit in der Behandlung von Anträgen der gedachten Art sicherzustellen, finde ich mich veranlasst, in Ergänzung der Vorschriften des Zirkular-Erlasses vom 9. August (Ministerial Blatt Seite 246) zu bestimmen, dass künftig Gesuchen, welche auf die Genehmigung der Namensänderung von Personen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft, bzw. auf die Bestätigung des von einem zum Christentum übergetretenen Juden bei der Taufe angenommenen Familiennamens gerichtet sind, nicht ohne meine vorher einzuholende Ermächtigung Folge gegeben werde.
Euere Hochwohlgeboren wollen demnach über Anträge der gedachten Art, welche Ihnen berücksichtigungswert erscheinen, vor der Entscheidung unter eingehender Darlegung des Sachverhaltes an mich berichten. Berlin, den 18. Mai 1900
Der Minister des Innern: Freiherr von Rheinbaben
d) Ministerial-Verfassung vom 11. April 1904
(MBVI Seite 116)
Auf den Bericht vom 18. Februar dieses Jahres ersuche ich Ew. Hochwohlgeboren ergebenst, bei Anträgen auf Änderung jüdischer Vornamen, sei es aus Anlass des Übertritts vom Judentum zum Christentum oder aus sonstigen Gründen, künftig in gleicher Weise an mich zu berichten, wie es hinsichtlich der Anträge auf Änderung jüdischer Familiennamen durch die Erlasse vom 18. Mai 1900 und 25. September 1903 (Ministerial Blatt Seite 211) vorgeschrieben ist.
2.. Exkurs: Der Übertritt zum Christentum und
der Wiedereintritt in das Judentum.
(Im früheren Mittelalter findet sich im Frankenreich kein ausdrückliches Verbot des Übertritts zum Judentum, während im Westgothenreich der Übertritt zum Judentum und der Rückfall getaufter Juden in dasselbe mit den schwersten Strafen – Steinigung oder Feuertod – bedroht waren.
a) Rescript des Ministers des Innern vom 30. Mai 1815
(Hoffmann Seite 52)
Die NN hierselbst, welche als inländische Jüdin geboren, dann zur christlichen Religion übergegangen und nach der Publikation des Edikts vom 11. März 1812 wieder Jüdin geworden ist, hat das Ew. Hochwohlgeboren bekannte, auf Ihren Bericht vom 12. September vom Jahre mittelst der Ihnen unterm 23. desselben Monats zugegangenen Verfügung abgelehnte Gesuch, um ihre Duldung und Naturalisation, bei Seiner Durchlaucht dem Herrn Staatskanzler erneuert, und es ist letzterer mit dem seitens des Unterzeichneten Ministerio damals aufgestellten Grundsatze:
dass ein getaufter Jude, der von neuem zum jüdischen Glauben übertritt, als ein fremder Jude behandelt werden müsse,
und dem gegen die NN beobachteten Verfahren einverstanden.
Indem Ew. Hochwohlgeboren dies zur Nachricht und Achtung bekannt gemacht wird, werden Sie zugleich veranlasst, auch in anderen Fällen solcher Art demgemäß zu verfahren.
b) Rescript des Ministers des Innern vom 3. Juli 1818
(Hoffmann Seite 53)
Nach an das Ministerium der geistlichen und Medizinal-Angelegenheiten unterm 10. dieses Monats erstattetem Bericht des Königlichen Konsistorii zu Breslau beabsichtigt der dortige, vor 10 Jahren getaufte Kaufmann NN wiederum zum jüdischen Religions-Kultus zurückzutreten.
In Beziehung auf die dem Königlichen Konsistorio vom genannten Minister hierauf gewordene abschriftlich beiliegende Resolution vom 20. Juni cr. wird die Königliche Regierung hierdurch veranlasst, dem NN, wenn er zur jüdischen Religion zurückgetreten, den Emigrations-Konsens zu erteilen, und ihn anweisen, sich einen Wohnsitz außer Landes zu suchen, indem das Edikt wegen des Staatsbürgerrechts der Juden solches nur den derzeit im Lande befindlichen Juden zugesichert, alle späteren Erteilungen desselben vom Ministerio des Innern abhängig macht, ich aber keineswegs diejenigen dessen würdig halte, die mit der Religion ein frevelhaftes Spiel der Konvenienz oder des Wankelmuts treiben, und Seine Majestät der König diesen Grundsatz bereits Höchstselbst in ähnlichen zur unmittelbaren Kenntnis gekommenen Fälle gebilligt hat.
c) Cirkular-Verfügung an sämtliche Königlichen Konsistorien vom 28. Juli 1848
(MBIV Seite 221)
Das Königliche Konsistorium erhält in der Anlage (a) Abschrift des heute p.N. wegen Rücktritt ins Judentum erteilten Bescheids zur Nachricht.
a) Auf Ihre zur ressortmäßigen Verfügung von des Königs Majestät mir übermachte Immediat-Vorstellung vom 6. vor Monat und die nachträgliche Eingabe vom 12. dieses Monats eröffne ich Ihnen, bei Rücksendung der Anlage, dass dem von Ihnen beabsichtigten Rücktritt ins Judentum ein gesetzliches Hindernis jetzt nicht mehr im Wege steht.
Anmerkung: Bezüglich der Auffassung des Kammergerichts über die rechtlichen Wirkungen des Wiedereintritts sie Entscheid vom 7. Mai 1906.
1. Exkurs: Der Übertritt zum Christentum.
1. § 36 II 1 Allgemeines Landrecht:
Ein Christ kann mit solchen Personen keine Heirat schließen, welche nach den Grundsätzen ihrer Religion, sich den christlichen Ehegesetzen zu unterwerfen, gehindert werden.
Anmerkung 1: Der Paragraph lautete ursprünglich: „Der Unterschied der Religion verhindert die Ehen der Christen mit Heiden, Muhamedanern und Juden“. Unter den Revisoren des Landrechts bestanden aber über die Fassung und über die Frage, ob die Vorschrift nicht besser überhaupt zu streichen sei, Meinungsverschiedenheiten. Lamprecht äußerte sich dahin: „Ob man bei den jetzigen aufgeklärten Zeiten Leuten, die fremden Glaubens sind, ob sie schon hier nicht verjagt, sondern geduldet werden, die Rechte der Bürger nehmen wolle, stelle ich anheim. Dünkt sich der Christ mit einer Türkin oder Jüdin glücklich, so sehe ich nicht ab, was gerade darunter der Staat leide. Es übergehen wird fast das Beste sein“. Duarez empfahl die Fassung, die schließlich Gesetz geworden ist. „Warum“. so motivierte er seine Ansicht, „will man die Ehen zwischen Juden und Christen so schlechterdings verbieten? In den christlichen Ehegesetzen ist nichts, dem sich eine Trauungsliturgie keinen Anstoß, so mag sie ein Christ immer heiraten. Erlaubte doch Paulus, dass Christen sich mit Heiden verheiraten durften“.
Das Ober-Tribunal war trotz dieser Entstehungsgeschichte des § 36 der Ansicht, dass es nicht auf die individuellen religiösen Anschauungen der Nupturienten, sondern darauf ankomme, ob die Grundsätze der Religion des nichtchristlichen Teiles, ihrem objektiven Inhalte nach, denselben zu unterwerfen. Es hält daher die Eheschließung zwischen den Christen und Juden nicht für zulässig. (Erkenntnis vom 18.12.1854; Entscheidungen Band 29 Seite 364ff). Auch nach zwei Entscheidungen des vormaligen Appellationsgerichts zu Hamm gab es in Preußen vor Erlass des Personenstandsgesetzes für die rechtsgültige Eheschließung zwischen Juden und Christen und zwischen Juden und Dissidenten keine Form.
Anmerkung 2: Nach einer Entscheidung Oberappellationsgericht Lübeck vom 14.03.1863 in einer Frankfurter Sache konnten nach gemeinem Recht jüdische Eltern ihre Einwilligung in die Eheschließung ihres Sohnes mit einer Christin verweigern
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Weitere Rechtsquellen
Edikt, vom 11. März 1812, betreffend die bürgerlichen
Verhältnisse der Juden im Preußischen Staate
(Gesetz-Sammlung Seite 17)
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc. haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in unserer Monarchie eine neue, der allgemeinen Wohlfahrt angemessene Verfassung zu erteilen, erklären alle bisherige, durch das gegenwärtige Edikt nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften für die Juden für aufgehoben und verordnen wie folgt:
§ 1. Die in Unsern Staaten jetzt wohnhaften, mit General-Privilegium, Naturalisations-Patenten, Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und preußische Staatsbürger zu achten.
§ 2. Die Fortdauer dieser ihnen beigelegten Eigenschaft als Einländer und Staatsbürger wird aber nur unter der Verpflichtung gestattet:
- dass sie fest bestimmte Familien-Namen führen, und
- dass sie nicht nur bei Führung ihrer Handelsbücher, sondern auch bei Abfassung ihrer Verträge und rechtlichen Willens-Erklärungen der deutschen oder einer anderen lebenden Sprache, und bei ihren Namensunterschriften keiner anderen, als deutscher oder lateinischer Schriftzüge sich bedienen sollen.
§ 3.Binnen sechs Monate, von dem Tage der Publikation dieses Ediktes an gerechnet, muss ein jeder geschützte oder konzessionierte Jude vor der Obrigkeit seines Wohnortes sich erklären, welchen Familien-Namen er beständig führen will. Mit diesem Namen ist er, sowohl in öffentlichen Verhandlungen und Ausfertigungen als im gemeinen Leben, gleich einen jeden anderen Staatsbürger, zu benennen.
§ 4. Nach erfolgter Erklärung und Bestimmung seines Familien-Namens erhält ein jeder von der Regierung der Provinz, in welcher er seinen Wohnsitz hat, ein Zeugnis, dass er ein Einländer und Staatsbürger sei, welches Zeugnis für ihn und seine Nachkommen künftig statt des Schutzbriefes dient.
§ 5. Nähere Anweisungen zu dem Verfahren der Polizeibehörden und Regierungen wegen der Bestimmung der Familien-Namen, der öffentlichen Bekanntmachung derselben durch die Amtsblätter und der Aufnahme und Fortführung der Hauptverzeichnisse aller in der Provinz vorhandenen jüdischen Familien bleiben einer besonderen Instruktion vorbehalten.
§ 6. Diejenigen Juden, welche den Vorschriften § 2 und 3 zuwider handeln, sollen als fremde Juden angesehen und behandelt werden.
§ 7. Die für Einländer zu achtenden Juden hingegen sollen, insofern diese Verordnung nicht Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.
§ 8. Sie können daher akademische Lehr- und Schul-, auch Gemeinde-Ämter, zu welchen sie sich geschickt gemacht haben, verwalten.
§ 9. Inwiefern die Juden zu anderen öffentlichen Bedienungen und Staatsämtern zugelassen werden können, behalten wir uns vor, in der Folge der Zeit, gesetzlich zu bestimmen.
§ 10. Es steht ihnen frei, in Städten sowohl, als auf dem platten Lande sich niederzulassen.
§ 11. Sie können Grundstücke jeder Art, gleich den christlichen Einwohnern, erwerben, auch alle erlaubten Gewerbe mit Beachtung der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften treiben.
§ 12. Zu der aus dem Staatsbürgerrechte fließenden Gewerbefreiheit gehört auch der Handel.
§ 13. Den auf dem platten Lande wohnenden Juden und ihren Angehörigen steht nur frei, denjenigen Handel zu treiben, der den übrigen Bewohnern desselben gestattet ist.
§ 14. Mit besonderen Abgaben dürfen die einländischen Juden, als solche, nicht beschwert werden.
§ 15. Sie sind aber gehalten, alle den Christen gegen den Staat und die Gemeinde ihres Wohnortes obliegende bürgerliche Pflichten, zu erfüllen, und mit Ausnahme der Stol-Gebühren gleiche Lasten, wie andere Staatsbürger zu tragen.
§ 16. Der Militär-Konskription oder Kantonspflichtigkeit, und den damit in Verbindung stehenden besonderen gesetzlichen Vorschriften sind die einländischen Juden gleichfalls unterworfen. Die Art und Weise der Anwendung dieser Verpflichtung auf sie, wird durch die Verordnung wegen der Militär-Konskription näher bestimmt werden.
§ 17. Ehebündnisse können einländische Juden unter sich schließen, ohne hierzu einer besonderen Genehmigung oder der Lösung eines Trauscheins zu bedürfen, in sofern nicht nach allgemeinen Vorschriften die von anderen abhängige Einwilligung oder Erlaubnis zur Ehe überhaupt erforderlich ist.
§ 18. Eben dieses findet statt, wenn ein einländischer Jude eine ausländische Jüdin heiratet.
§ 19. Durch die Heirat mit einer einländischen Jüdin erlangt aber kein fremder Jude das Recht, in hiesigen Staaten sich niederzulassen.
§ 20. Die privatrechtlichen Verhältnisse der Juden sind nach eben denselben Gesetzen zu beurteilen, welche anderen preußischen Staatsbürgern zur Richtschnur dienen.
§ 21. Ausnahmen finden bei solchen Handlungen und Geschäften statt, welche wegen der Verschiedenheit der Religionsbegriffe und des Kultus an besondere gesetzliche Bestimmungen und Formen notwendig gebunden sind.
§ 22. Bei den Eidesleistungen der Juden sind daher die Vorschriften der allgemeinen Gerichts–Ordnung Theil I., Titel 10, § 317-351 noch ferner zu beachten.
§ 23. Auch muss es bei der Festsetzung der Allgemeinen Gerichts–Ordnung Theil I, Titel 10, § 352 und der Kriminal – Ordnung § 335, Nr. 7 und § 357, Nr. 8, dass kein Jude in den benannten Kriminalfällen zur Ablegung eines eidlichen Zeugnisses gezwungen werden dar, so wie bei den daselbst bestimmten Wirkungen eines freiwillig geleisteten Zeugeneides, künftig verbleiben.
§ 24. In Ansehung der Präsentation der Wechsel am Sabbath, oder an jüdischen Festtagen behalten die §§ 989, 990 des Allgemeinen Landrechts Theil 2. Titel 8 ihre fortdauernde Gültigkeit.
§ 25. An die Stelle der nach dem Allgemeinen Landrechte Theil 2. Titel 1. § 136 zu einer vollgültigen Ehe erforderlichen Trauung, tritt bei den Ehen der Juden die Zusammenkunft unter dem Trauhimmel und das feierliche Anstecken des Ringes, und dem im § 138 verordneten Aufgebote ist die Bekanntmachung in der Synagoge gleich zu achten.
§ 26. Auf die Trennung einer vollzogenen gültigen Ehe kann jeder Teil aus den in dem Allgemeinen Landrechte Theil 2. Titel I, § 669-718 festgesetzten Ursachen antragen.
§ 27. Zur Begründung der bürgerlichen Wirkungen einer gänzlichen Ehescheidung unter den Juden ist das Erkenntnis des gehörigen Richters hinreichend und die Ausfertigung eines Scheidebriefes nicht notwendig.
§ 28. Da, nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, neue Gesetze auf vergangene Fälle nicht bezogen werden können, so sind die Streitigkeiten über Handlungen, Begebenheiten und Gegenstände, welche das bürgerliche Privatrecht der Juden betreffen, und sich vor der Publikation der gegenwärtigen Verordnung ereignet haben, nach den Gesetzen zu beurteilen, die bis zur Publikation dieses Edikts verbindend waren, wenn nicht etwa die bei jenen Handlungen, Begebenheiten und Gegenständen Interessierten, insofern sie dazu rechtlich befugt sind, sich durch eine rechtsgültige Willenerklärung den Bestimmungen der gegenwärtigen Verordnung, nach deren Publikation, unterworfen haben sollten.
§ 29. In Absicht des Gerichtsstandes und der damit verbundenen vormundschaftlichen Verwaltung findet ebenfalls zwischen Christen und den Juden kein Unterschied statt. Nur in Berlin bleibt es vorerst bei dem den Juden angewiesenen besonderen Gerichtsstande.
§ 30. In keinem Fall dürfen sich Rabbiner und Juden–Ältesten weder eine Gerichtsbarkeit noch eine vormundschaftliche Einleitung und Direktion anmaßen.
§ 31. Fremden Juden ist es nicht erlaubt, in den hiesigen Staaten sich niederzulassen, solange sie nicht das Preußische Staatsbürgerrecht erworben haben.
§ 32. Zur Erwerbung diese Bürgerrechts können sie nur auf den Antrag der Regierung der Provinz, in welcher die Niederlassung erfolgen soll, mit Genehmigung unseres Ministerii des Innern, gelangen.
§ 33. Sie genießen alsdann mit den Einländern gleiche Rechte und Freiheiten.
§ 34. Fremde Juden, als solche, dürfen weder als Rabbiner und Kirchenbediente, noch als Lehrburschen, noch zu Gewerks- oder Hausdiensten angenommen werden. Es erstreckt sich jedoch dieses nicht auf diejenigen vergeleiteten Juden, welche sich zur Zeit der Publikation des gegenwärtigen Edikts bereits in unseren Staaten befinden.
§ 35. Diejenigen einländischen Juden, welche gegen diese Vorschrift, (§ 34) handeln, verfallen in 300 Reichsthalern Strafe, oder im Falle des Unvermögens, diese zu erlegen, in eine, den wegen der Verwandlung der Strafe vorhandenen allgemeinen Vorschriften angemessene Gefängnisstrafe, und der fremde Jude muss über die Grenze geschafft werden.
§ 36. Ausländischen Juden ist der Eintritt in das Land zur Durchreise oder zum Betrieb erlaubter Handels–Geschäfte gestattet. Über das von denselben und gegen dieselben zu beobachtende Verfahren sollen die Polizei–Behörden mit einer besonderen Instruktion versehen werden.
§ 37. Wegen des Verbots wider das Hausieren überhaupt, hat es bei den Polizei–Gesetzen auch in Absicht der Juden sein Bewenden.
§ 38. In Königsberg in Preußen, in Breslau und Frankfurt an der Oder dürfen fremde Juden, solange die Messzeit dauert, mit Genehmigung der Obrigkeit sich aufhalten.
§ 39. Die nötigen Bestimmungen wegen des kirchlichen Zustandes und der Verbesserung des Unterrichts der Juden werden vorbehalten, und es sollen bei der Erwägung derselben Männer des jüdischen Glaubensbekenntnisses, die wegen ihrer Kenntnisse und Rechtschaffenheit das öffentliche Vertrauen genießen, zugezogen und mit ihrem Gutachten vernommen werden.
Hiernach haben sich unsere sämtlichen Staats-Behörden und Untertanen zu achten.
Anmerkung: Zu § 1: Das Edikt galt nur für den damaligen Umfang der Monarchie (die Provinz Brandenburg mit Anschluss der Lausitz und des Cottbuser Kreises, die – später geteilte Provinz Preußen mit einigen Ausnahmen, die Provinz Pommern mit Ausschluss von Neupommern, die Provinz Schlesien mit Ausnahme des dazu gehörigen Teiles der Ober-Lausitz, ein kleiner Teil der Provinz Sachsen).
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Allerhöchste Kabinetsordre vom 15ten April 1822., dass ohne landesherrliche Erlaubnis, Niemand seinen Familien- oder Geschlechtsnamen ändern dürfe.
(Gesetz-Sammlung Seite 108, Nr. 715.)
Ich finde es auf den Bericht des Staatsministerii vom 27ten vom Monat nicht nothwendig, wegen der Unabänderlichkeit der Familien- oder Geschlechtsnamen eine weitere Verordnung zu erlassen, sondern bestimme hierdurch: dass bei Vermeidung einer Geldbusse von Fünfzig Thalern, oder vierwöchiger Gefängnisstrafe, Niemandem gestattet seyn soll, ohne unmittelbare landesherrliche Erlaubnis seinen Familien- oder Geschlechtsnamen zu ändern, wenn auch durchaus keine unlautere Absicht dabei zum Grunde liegt. Potsdam, den 15ten April 1822.
Friedrich Wilhelm
An das Staatsministerium
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Cirkular-Verfügung an sämmtliche Königlichen Regierungen, ausschließlich derjenigen in der Rheinprovinz und im Grossherzogthum Posen, sowie an das Königliche Polizeipräsidium hierselbst, betreffend das Verbot des Gebrauchs christlicher Vornamen für die Juden.
MBIV vom 23.03.1841 (Seite 116)
Des Königs Majestät haben durch Allerhöchste Ordre vom 9. dieses Monats das seitherige Verbot des Gebrauchs christlicher Vornamen für die Juden dahin zu deklarieren geruht, dass den Juden nur solche Namen ihren Kindern beizulegen verboten sein soll, welche mit der christlichen Religion in Beziehung stehen. Dahin gehören alle Vornamen, die sich, wie Renatus, Anastas, Baptist, Peter, auf eigenthümliche Dogmen der christlichen Kirche beziehen, so wie die von dem Namen des Erlösers hergeleiteten oder damit zusammengesetzten Vornamen, wie Christoph, Christian u.s.w.
Nach diesem Grundsatze hat die Königliche Regierung zu verfahren, und die Polizeibehörden, so wie die jüdischen Kultusbeamten, zu instruieren. Berlin, den 23. März 1841
Der Minister des Innern und der Polizei. von Rochow
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Erlass an den Königlichen Oberpräsidenten der
Rheinprovinz, in eben derselben Angelegenheit.
MBIV vom 22.03.1841 (Seite 116)
Euer Excellenz eröffne ich, mit Bezug auf den Bericht vom 24. November 1836, dass des Königs Majestät durch Allerhöchste Ordre vom 9. dieses Monats u.s.w. (wie in der eben vorangegangenen Cirkular-Verfügung).
Diesen Grundsatz wollen Euer Excellenz in den Landestheilen der Rheinprovinz zur Anwendung bringen lassen, auf welche sich das dadurch deklarierte Verbot bezieht. In den Landestheilen, wo französisches Recht gilt, behält es bei den Bestimmungen des Gesetzes vom 11. Germinal Jahres XI *) und des Dekrets vom 20. Juli 1808 **) sein Bewenden, wovon die Regierungen, in Erledigung verschiedener hier eingereichten Anfragen und zur Instruktion der jüdischen Kultusbeamten, in Kenntnis zu setzen sind. Berlin, den 22. März 1841
Der Minister des Innern und der Polizei von Rochow
*): Loi, relative aux Prénoms et changements de Noms, du 11. Germinal XI. Art. I. A compter de la publication de la présente loi, les noms en usage les différens calendriers, et ceux des personnage, connus de l’histoire ancienne, pourront seuls être reçus, comme prénoms, sur les registres de l’état destinés à constater la naissance des enfants: et il est interdit aux officiers d’en admettre aucun autre dans leurs actes.
**): Décret impérial, concernant les Juifs qui n’ont pas de famille et de prénom fixes, le 20. Juillet 1808. Art. III. Ne seront point admis comme noms de famille, aucun nom tiré de l’ancien Testament, ni aucun nom de ville. Pourront être pris comme prénoms, ceux autorisés par la loi du 11. Germinal, an XI.
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Bescheid an den jüdischen Kantor und Schächter N. und abschriftlich
an die Königliche Regierung zu Oppeln, die Unveränderlichkeit der
den Juden bei der Beschneidung beigelegten Vornamen betreffend.
MBIV vom 05.10.1841 (Seite 276)
Auf Ihre Vorstellung vom 30. Juni dieses Jahres wird Ihnen eröffnet, dass der Grundsatz der Unveränderlichkeit der den Juden bei der Beschneidung beigelegten und in die Familien-Tabellen eingetragenen Vornamen im öffentlichen Interesse zur Verhütung einer möglichen Verdunkelung der Familien-Verhältnisse aufrecht erhalten werden muss, und Ausnahmen davon nur aus besonders erheblichen, hier nicht vorliegenden Gründen, und nur von Seiner Majestät dem Könige Allerhöchst Selbst gestattet werden.
Es kann daher auf Ihr Gesuch um Abänderung des Ihrem Sohne beigelegten Vornamens Mausche in Moritz um so weniger eingegangen werden, als nach dem in Abschrift beigefügten Gutachten der Name „Mausche“ allerdings ein in der Thora begründeter und noch jetzt gebräuchlicher jüdischer Vorname ist. Berlin, den 5. Oktober 1841
Ministerium des Innern. Erste Abtheilung von Meding
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„Allerhöchste Erlaß, betreffend die Ertheilung der
Genehmigung zu Namensänderungen“
vom 12.07.1867
(GS Seite 1310, Nr. 6765)
Auf den Bericht des Staatsministeriums vom 5. Juli diesen Jahres bestimme Ich hierdurch für den gesammten Umfang der Monarchie, dass die nach den gesetzlichen Bestimmungen erforderliche Genehmigung zu Namenänderungen, abgesehen von denjenigen Fällen, in denen es sich um die Änderung eines adeligen Namens oder um die Annahme adeliger Prädikate handelt, in welchen Fällen Meine Entscheidung einzuholen ist, fortan von den Bezirksregierungen ertheilt werden soll. Im Gebiete des ehemaligen Königreichs Hannover soll die gedachte Befugnis bis zur anderweitigen Organisation der dortigen Verwaltungsbehörden von den Landdrosteien ausgeübt werden.
Ems, den 12. Juli 1867
Wilhelm
von Mühler. Graf zur Lippe. von Selchow.
An das Staatsministerium
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Cirkular-Erlass an sämmtliche Königliche Regierungen einschließlich derjenigen
zu Kiel und Schleswig und an das Königliche Polizei-Präsidium hierselbst, das Verfahren
bei Genehmigung von Namens-Aenderungen betreffend, vom 09. August 1867
(MBIV Seite 246, Nr. 186)
Die steigende Zahl der Gesuche, in denen um die Genehmigung zu Namens-Aenderungen gebeten wird, hat Veranlassung gegeben, die auf diesen Gegenstand bezügliche Gesetzgebung namentlich auch in Rücksicht auf die neuen Landestheile einer näheren Erörterung zu unterwerfen. Es hat sich dabei herausgestellt, dass dieselbe in den verschiedenen Landestheilen sehr verschiedenartig gestaltet ist. Soweit die Verschiedenheiten materieller Natur sind, werden sie dadurch ihre Ausgleichung finden, dass nach der bereits erfolgten Einführung des Preußischen Strafgesetzbuchs in den neuen Landestheilen vom 1. September dieses Jahres ab der von der unbefugten Annahme von Titeln, Würden, Adels-Prädikaten und Namen handelnde § 105. desselben in der gesammten Monarchie zur Anwendung kommen wird.
Eine andere Verschiedenheit der betreffenden gesetzlichen Bestimmungen besteht darin, dass die Ertheilung der Genehmigung zu Namens-Aenderungen in den alten Landestheilen – soweit hier nicht eine Delegation der Befugnis an einzelne Behörden Statt gefunden hatte – und in einigen der neuen Landestheilen dem Landesherrn zustand, während in den übrigen neuen Landestheilen die Genehmigung von dieser oder jener Behörde ertheilt werden durfte.
Um in dieser Beziehung die erforderliche Gleichmäßigkeit herbeizuführen, haben des Königs Majestät auf den Antrag des Staats-Ministeriums mittelst des in beglaubigter Abschrift beifolgenden und demnächst durch die Gesetz-Sammlung zur Publikation gelangenden Allerhöchsten Erlasses vom 12. vom Monat zu bestimmen geruht, dass die nach den gesetzlichen Bestimmungen erforderliche Genehmigung zu Namens-Aenderungen, abgesehen von denjenigen Fällen, in denen es sich um die Annahme eines adeligen Namens oder um die Annahme adeliger Prädikate handelt – in welchen Fällen die Allerhöchste Entscheidung auch fernerhin einzuholen ist – fortan von den Bezirks-Regierungen ertheilt werden soll.
Indem ich die Königliche Regierung hiervon in Kenntnis setze, finde ich mich veranlasst, in Bezug auf die Gesichtspunkte, welche bei der nunmehr der Königlichen Regierung obliegenden Entscheidung über die eingehenden Anträge auf Genehmigung von Namens-Aenderungen zu beachten sind, Folgendes zu bemerken:
1) Die Genehmigung wird nicht zu ertheilen sein, ohne dass hinreichende Gründe für den betreffenden Antrag sprechen.
2) In den alten Landestheilen galt bisher die Allerhöchste Ordre vom 15. April 1822 (GS Seite 108), wonach es Niemand gestattet sein soll, ohne unmittelbare Landesherrliche Erlaubnis seinen Familien- oder Geschlechts-Namen zu ändern. Konform der Fassung dieser Allerhöchsten Ordre hat die gerichtliche Praxis angenommen, dass auch der § 105. des Strafgesetzbuchs nur den Gebrauch eines unrichtigen Familien-Namens verpöne, dass dagegen die – nicht in betrüglicher Absicht erfolgende – Änderung des Vornamens straflos sei. Mit Rücksicht hierauf wird sich die Königliche Regierung lediglich mit der Änderung von Familien-Namen zu befassen, dagegen Anträge auf Genehmigung zur Änderung von Vornamen einfach durch Hinweisung auf jene gerichtliche Praxis, so lange sich diese nicht ändert oder nicht durch gesetzliche Vorschriften aufgehoben wird, zu erledigen haben.
3) Die Kontrolle der Führung fester Familien-Namen erfolgt wesentlich im polizeilichen Interesse. Es ist daher bei Prüfung der betreffenden Anträge vorzugsweise darauf das Augenmerk zu richten, ob denselben Bedenken polizeilicher Natur entgegenstehen, namentlich ob die Gewährung zu Verdunkelung von Familien-Namen führen könnte, ob mit Rücksicht auf die Führung des Betreffenden ein Missbrauch der nachgesuchten Erlaubnis zu besorgen sein möchte und dergleichen. Indess ist daneben auch auf das Privat-Interesse der betheiligten Familie insofern Rücksicht zu nehmen, als da, wo ein solches ersichtlich ist, die nächsten Angehörigen desjenigen, von dem oder für den die Genehmigung nachgesucht wird, darüber zu hören sind, ob sie dem Antrage ihrerseits zustimmen.
4) In denjenigen Fällen, wo es sich um die Änderung des Namens von Minorennen handelt, ist die Erklärung der Vormundschaftsbehörde über den Antrag einzuholen.
5) Wird die Annahme des Namens einer bestimmten Familie beabsichtigt, so ist dazu die Genehmigung nur dann zu ertheilen, wenn da, wo ein Privat-Interesse der betheiligten Familie ersichtlich ist, festgestellt wird, dass von dieser nicht ein begründeter Widerspruch erhoben werden kann, und es sind deshalb die nächsten männlichen Mitglieder dieser Familie über den Antrag zu hören.
6) Durch die Allerhöchste Ordre vom 13. Mai 1822 ist der Minister des Innern ermächtigt worden, die von den zum Christenthum übertretenden Juden bei der Taufe anzunehmenden Familiennamen ohne Weiteres zu bestätigen. Diese Ermächtigung geht nunmehr auf die Königliche Regierung über, so dass die Genehmigung in solchen Fällen nur dann zu versagen sein wird, wenn sich etwa auf der Wahl des Namens selbst besondere Bedenken ergeben.
7) Dagegen können Fälle eintreten, welche geeignet erscheinen, der ministeriellen Kognition unterworfen zu werden. Hierher gehören z.B. Anträge, welche darauf gerichtet sind, einem im Ehebruche erzeugten Kinde den Familien-Namen des unehelichen Vaters beizulegen. In dergleichen Fällen ist dem Antrage nicht zu willfahren, ohne vorher meine Ermächtigung einzuholen.
Berlin, den 9. August 1867
Der Minister des Innern: Graf zu Eulenburg
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